Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

11. Sonntag A
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Predigten

Predigtverzeichnis  nach Bibelstellen geordnet

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unter dem Stichwort Kassettendienst .

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Predigt zur 2. Lesung:   Röm 5,6-11

Predigt zum Evangelium:   Mt 9,36 - 10,8     mp3 Format

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Predigttext:    Röm 5,6-11

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Ich möchte heute einmal mit Ihnen in den Abendmahlsaal in Jerusalem gehen. Am Abend vor seinem Tod sitzt Jesu mit seinen Jüngern zusammen. Sie kennen die Szene: Da steht plötzlich Jesus auf, bindet sich eine Schürze vor und holt einen Krug Wasser - an der Tür stand immer ein Krug mit Wasser, damit man sich beim Eintreten die Füße waschen konnte. Aber damals hatte keiner von den Aposteln daran gedacht, als sie zum Abendmahl gekommen waren. Da hat man sich einfach so zu Tisch gesetzt. Und dann steht Jesus auf und nimmt die Schüssel mit Wasser. Er bückt sich vor jedem Einzelnen und fängt an, jedem Einzelnen die Füße zu waschen als Zeichen seiner dienenden Liebe. Jeder einzelne kommt dran. Das ist keine Allerweltsliebe, sondern jeder Einzelne kommt bei Jesus mit diesen Zeichen der Liebe dran.

Im Kreis der Jünger sitzt Johannes, der Lieblingsjünger Jesu. Und Jesus bückt sich und wäscht seinem Lieblingsjünger die Füße. Das schaffen wir auch. Einem Menschen die Füße zu waschen, den man gerne hat, das ist kein Kunststück. Aber denk daran: Im Kreis der Zwölf sitzt auch ein Judas. Und in der Geschichte vom Abendmahl wird mehrmals ausdrücklich gesagt: Jesus wusste, dass Judas ihn verraten würde. Und Jesus ist nicht an Judas vorbeigegangen. Er hat sich auch vor Judas hingekniet, hat sich gebückt, hat ihm die Füße gewaschen und sie mit einem Tuch abgetrocknet. Auch dem Judas hat er dieses äußerste Zeichen seiner Liebe geschenkt.

 

Wenn wir dies alles bedenken, können wir vielleicht die zweite Lesung verstehen aus dem Römerbrief des Apostels Paulus. Ich lese ihnen den Anfang noch einmal vor. Dann werden Sie merken, worum es Paulus geht. Da schreibt Paulus: „Christus ist schon zu der Zeit, als wir schwach und gottlos waren, für uns gestorben. Dabei wird schwerlich jemand für einen Gerechten sterben. Vielleicht jedoch wird er für einen guten Menschen sein Leben wagen.“ Und jetzt kommt es: „Gott aber hat seine Liebe zu uns darin erwiesen, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.“

Wir reden so viel und so leichthin vom „lieben Gott“. Aber denk einmal daran: Die Liebe Gottes beweist sich dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, dass er uns geliebt hat bis in den Tod. Und zwar, als wir Sünder waren, als an uns nichts Liebenswertes mehr zu finden war. Da erst kommt die Liebe Gottes zu ihrem Höhepunkt.

Der Apostel Paulus ist nie müde geworden, das in seinem Glaubenszeugnis zu betonen. Im Timotheusbrief schreibt er: „Gott hat mich gewürdigt, in seinen Dienst zu gehen. Mich, der ich ein Verfolger und Lästerer war.“ Um im ersten Korintherbrief, in den berühmten 15. Kapitel über die Auferstehung schreibt er: „Ich bin gleichsam wie eine Missgeburt. Und trotzdem ist seine Gnade in mir und durch mich wirksam geworden.“ Paulus hört nie auf, diese liebende Gnade Gottes zu betonen: Gerade mich hat er erwählt, der ich Sünder war, der ich die Kirche, der ich Christus verfolgt habe. Ähnlich ist es übrigens einem bedeutenden Heiligen ergangen, dem heiligen Augustinus. In seinen Bekenntnissen wird er nie dieses Staunen los: Ich hab es doch eigentlich gar nicht verdient. Ich habe ihn gesucht, und ich habe ihn gefunden. Oder besser gesagt: Er hat mich gefunden. Das ist die Liebe Gottes.

 

Gehen wir noch einmal zurück in den Abendmahlsaal. Da kommt Jesus, als er zu jedem Jünger geht, auch zu Petrus und will ihm die Füße waschen. Und aufbrausend, wie der Petrus ist, bricht es aus ihm heraus: „Du willst mir die Füße waschen? Du mir?“ Jesus sagt ihm: „Petrus, was ich jetzt tue, das verstehst du jetzt noch nicht. Du wirst es aber bald verstehen.“ Dieses „bald“ ist für Petrus sehr schnell gekommen. Nur wenige Stunden später ist es Wirklichkeit geworden. Da hatte man Jesus gefangen genommen und im Hof des Hohenpriesters verhört. In der anderen Ecke war ein Kohlenfeuer, an dem sich die Diener des Hohenpriesters gewärmt haben. Und Petrus steht auch am Kohlenfeuer. Da kommt so ein Dienstmädchen, schaut ihm in die Augen und sagt: „Du warst auch bei diesen Jesus!“ Sie kennen die Szene: Dreimal hebt Petrus die Hand und beteuert: „Ich kenne diesen Menschen überhaupt nicht.“ Und beim dritten Mal kräht ein Hahn. Und da steht im Lukasevangelium so eine ganz kleine Bemerkung dabei: Als der Hahn krähte, schaute sich Jesus um und blickte Jesus an. Und das muss wiederum ein Blick der Liebe gewesen sah. Petrus merkt auf einmal, was gemacht hat. Ich habe ihn verleugnet. Und dabei habe ich vorher eine große Klappe gehabt. Da wusste auf einmal, warum er das Zeichen der Reinigung im Abendmahlsaal nötig hatte. Und er ging hinaus und weinte bitterlich.

 

Schwestern und Brüder, ich bin davon überzeugt: Die Liebe Gottes kann man im Tiefsten nur dann erfassen, wenn man durch einen solchen Zerbruch gegangen ist wie Petrus. Ich habe ihn auch verleugnet im alltäglichen Leben, und er nimmt mich trotzdem an. Er hat mich nicht weggeschickt. Er hat nicht gesagt: Mit dir kann ich nichts mehr anfangen. Nein, er nimmt mich trotzdem an, trotz meiner Sünde. Er nimmt die Sünder an. Das ist die Liebe Gottes.

 

Und jetzt kommt noch ein Geheimnis. Leider steht das in unserem Lesungstext nicht mehr drin . Unmittelbar vor unserer Lesung steht ein Vers, der eigentlich wesentlich zu unserer Lesung dazu gehört. Da hatte Paulus geschrieben: „Diese Liebe Gottes, die bis zum Äußersten geht, ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Heiligen Geist.

Das ist nicht nur eine Sache gewesen für Jesus, dass er die Sünder lieben konnte, an denen nichts Liebenswertes mehr war. Nein, diese Liebe ist ausgegossen in unseren Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Wir alle, die wir getauft und gefirmt sind, haben den Heiligen Geist empfangen. Diese göttliche Liebe ist durch den Heiligen Geist in unseren Herzen ausgegossen. Und das bedeutet mit anderen Worten: Durch den Heiligen Geist sind wir so verwandelt worden, dass wir gleichsam die Wesensart Jesu empfangen haben. Dass wir so lieben können, wie Jesus geliebt hat. In der Bergpredigt hat Jesus den Menschen gesagt: Du sollst deine Feinde lieben. Nicht nur deine Freunde: du sollst deine Feinde lieben. Das hat Jesus selbst getan. Aber weil wir den Heiligen Geist empfangen haben, und weil seine Liebe in unseren Herzen ausgegossen ist, heißt es für uns nicht mehr: „Du musst deine Feinde lieben“, sondern da heißt: „Ich kann meine Feinde lieben“. Und warum? Weil ich selbst bis ins Tiefste hinein geliebt bin.

Jesus sagt im Johannesevangelium: „Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe.“ Wer das im Tiefsten erfahren hat: Gott hat mich geliebt, obwohl ich Sünder bin, der wird fähig sein, den anderen zu lieben, selbst wenn er mein Feind ist.

 

Ich habe einmal für Jugendliche ein Bibelseminar gehalten über die Bergpredigt. Und als wir auf das Gebot der Feindesliebe zu sprechen kamen, sagt jemand: „Das ist eine totale Überforderung. Das schafft man überhaupt nicht. Wie soll ich denn für den etwas fühlen, der mein Feind ist?“

Der Junge hat recht gehabt. Aber er hat eins nicht bedacht: Liebe ist nicht in erster Linie eine Sache des Gefühls, sondern Liebe ist eine Sache der Wahl, der Entscheidung, die ich für den anderen treffe. Als Jesus am Kreuz gehangen hat und drei Stunden am Kreuz verblutet ist, glauben Sie, dass er am Kreuz noch große Gefühle für die Menschen gehabt hat? Aber er hatte gewählt, die Menschen zu lieben. Und als sie ihn unter dem Kreuz verspottet haben, da sucht vom Kreuz herab noch eine Entschuldigung: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ Das ist Liebe, dass Christus gewählt hat, uns zu lieben. Und das ist unabhängig von den Gefühlen. Und das ist es, was Jesus uns schenkt: diesen Heiligen Geist, der unser Herz verwandelt, dessen Liebe in unseren Herzen ausgegossen ist, so dass wir auch mit einem Jubel sagen können: Ich kann lieben! Ich kann lieben wie Jesus.

 

Am Ende unserer Lesung sagt Paulus: „Wir rühmen uns Gottes durch Jesus Christus unseren Herrn.“ „Wir rühmen uns Gottes.“ Wissen Sie, was mir dazu einfällt: das Magnifikat der Gottesmutter. „Meine Seele preist die Größe des Herrn, denn der Mächtige hat Großes an mir getan.“

Lass das doch zu, dass Jesus dich liebt, so wie du heute bist. Und dann lass dir von Jesus schenken, dass Du die anderen auch so lieben kannst, wie er Dich geliebt hat. Amen.

 

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Predigttext:    Mt 9,36 – 10,8

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Bericht zur Lage der Nation. Das könnte man gleichsam wie eine Überschrift über den ersten Teil unseres Evangeliums setzen. Bericht zur Lage der Nation.

Es ist die Situation im Leben Jesu, als er seine Jünger zum ersten Mal zu zweit aussendet, damit sie die Botschaft vom Reich Gottes weiterverkünden. Aber bevor er sie aussendet, schaut Jesus noch einmal die Menschen an und zieht Bilanz. Bericht zur Lage. Wenn man sich diesen Bericht zur Lage der Menschen anschaut, dann wird man feststellen, wie sehr er auch heute noch aktuell ist und bis in Kleinigkeiten hinein den Nagel auf den Kopf trifft.

Da heißt es im Evangelium: „Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keinen Hirten haben.“

 

Punkt eins im Bericht zur Lage:

Die Menschen waren müde und erschöpft, wörtlich übersetzt: „hingestreckt“; so wie wenn jemand sagt: „Ich kann nur noch die Beine lang machen.“ Müde und erschöpft. Ist das nicht das typische Kennzeichen heute in unserer Welt, dass die Menschen müde und erschöpft sind? Gehen Sie einmal an einem Samstag durch eine unserer Einkaufszentren, und schauen sie einmal nicht in die Läden, sondern in die Gesichter der Menschen. Es ist erschreckend, mit welchen Gesichtern die Menschen herumlaufen. Verkrampft, verzerrte Gesichter; da ist nichts mehr von Entspannung zu sehen. Statt dessen: müde, verkrampft und erschöpft.

Wenn man ältere Menschen fragt, dann bekommt man Folgendes gesagt: Früher hat man schwerer und mehr arbeiten müssen als heute. Wir haben noch nie eine Zeit gehabt, wo bei uns die Menschen so wenig arbeiten mussten wie heute. Aber die älteren Leute sagen auch: Das Arbeiten hat früher die Menschen nicht so gestresst wie heute. Das ist es, was Jesus hier sagt: Müde und erschöpft. Und dabei hatten die Menschen noch nie so viel Zeit für die Freizeit und Erholung wie heute.

Vor einiger Zeit habe ich im Fernsehen einen Bericht gesehen, da sagte der Autor dieses Berichtes, man solle sich einmal schlafende Menschen anschauen. Normalerweise hat ein schlafender Mensch immer schöne Gesichtszüge, weil das Gesicht normalerweise im Schlaf völlig entspannt ist. Dann wurden in diesem Fernsehbericht Fotos gezeigt von schlafenden Menschen, bei den „Naturvölkern“, und bei uns in Westeuropa. Bei den Naturvölkern war das wirklich so: völlig entspannte Gesichter. Aber bei schlafenden Menschen aus Westeuropa war der Stress, der den Tag der Menschen prägte, auch noch im Schlaf auf den Gesichtern zu sehen: Verkrampft, die Zähne zusammengebissen und nichts mehr von der Entspannung, die normalerweise den Schlaf kennzeichnet. „Sie waren müde und erschöpft.“

 

Punkt zwei im Bericht zur Lage:

„Sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Dieses Bild sagt uns heute nicht mehr so viel, weil es bei uns kaum noch Schafe gibt. Vielleicht könnte man heute in unserer Stadtkultur sagen: „Sie waren wie herrenlose Hunde.“ Haben Sie schon einmal in einer Stadt so einen herrenlosen Hund herumstreunen sehen, der nirgendwo hingehörte? Der nur struppig war, vielleicht Läuse hatte, der den Schwanz eingekniffen hatte, der jeden anknurrt, der ihm zu nahe kommt, der aber auf der anderen Seite mit jedem beliebigen Menschen mitläuft, der ihm auch nur einen mageren Knochen hinwirft. Das ist das: Schafe ohne Hirten; herrenlose Hunde.

Kennzeichen eines Schafes ohne Hirten und eines herrenlosen Hundes ist die Orientierungslosigkeit. Und auch hier: Ist das nicht eines der typischen Kennzeichen unserer Zeit, die Orientierungslosigkeit?

Dafür einige Beispiele: Wer von uns hat denn noch eine klare Orientierung z.B. in Fragen der Sexualität? Die Menschen nehmen doch ihre Orientierung zu Fragen der Sexualität aus Zeitschriften wie ‚Bravo’, und ähnlichen Magazinen. Wer hat denn in diesen Fragen noch eine klare Wertordnung. Ich sag das nicht als Vorwurf, sondern einfach als Beschreibung. Und anders herum: Wenn wirklich Christen da sind, die eine klare Wertordnung haben: Wer kann denn dann auch begründen, warum er so lebt und warum er diese Werteordnung hat?

Oder noch grundsätzlicher: Wer von uns hat denn noch eine klare Orientierung, wenn es um den Sinn des Lebens geht? Woher ich komme, wohin ich gehe, warum ich überhaupt auf der Welt bin? In einer Welt, wo heute Menschen im Reagenzglas gemacht werden, wo man anfängt zu klonen, wo viele meinen, dass mit dem Tod sowieso alles aus ist: Kiste zu, fertig. Ich will es einmal ganz simpel sagen: Arbeiten, essen, Kinder zeugen, dem Hobby nachgehen, dass kann doch nicht alles sein, warum wir auf dieser Erde sind. Aber wer weiß denn schon, was der tiefere Sinn unseres Lebens ist? Wer hat denn da klare Orientierung? Oder wer weiß wenigstens jemanden, den er da fragen könnte? Ist das nicht die Not unserer Zeit, dass wir orientierungslos geworden sind, und letztlich damit auch haltlos geworden sind. Denken Sie nur daran, wie wenige Menschen heute noch in der Lage sind, eine dauerhafte Bindung einzugehen, sei es im Beruf, sei es in der ehelichen Partnerschaft, sei es im ehrenamtlichen Engagement. Schauen Sie in die politische Landschaft: Da schaut man nur noch auf den nächsten Wahltermin und redet den Wählern nach dem Mund. Wo ist denn da noch Orientierung? Wohin Sie auch schauen: Die große Not unserer Zeit ist die Orientierungslosigkeit.

Aber Jesus sagt auch sehr deutlich, woran das liegt: Es liegt nicht daran, dass sie keine Erholung und keine Freizeit mehr haben, oder dass sie vielleicht Analphabeten sind, nein ganz schlicht und einfach: Sie haben keinen Hirten. Und dieser Hirte ist nicht der Papst und auch nicht ein Theologieprofessor, sondern Jesus Christus. Die große Not auch unter Christen heute ist: Viele haben heute ein bisschen Religion, aber sie haben keinen Hirten. Da befriedigt man seine religiösen Bedürfnisse: bei der Taufe, bei der Erstkommunion, bei der Hochzeit, und natürlich muss man ja auch „versehen mit den Tröstungen der Kirche“ unter die Erde kommen. Aber mit ein bisschen Religion kommst Du im Leben nicht durch, heute schon gar nicht mehr. Wer hat denn noch einen Hirten? Wer hat denn noch diese persönliche Bindung an Jesus Christus, der einmal gesagt hat: „Meine Schafe hören meine Stimme. Sie kennen mich und sie folgen mir.“ Wer hat denn noch diese Bindung? Ein bisschen Religion hilft Dir da nichts.

 

Wenn man sich das alles so vor Augen hält, dann könnte man resignieren. Das tut Jesus aber nicht!

Der dritte Punkt in diesem Lagebericht heißt:  „Die Ernte ist groß!“

Können wir das glauben, angesichts dieser Misere in unserer Welt heute, dass die Ernte groß ist? Dass Menschen nur darauf warten, heute, hier in unserem Land, dass ihnen die Botschaft von Jesus Christus wieder nahegebracht wird. Können wir das glauben, dass die Ernte groß ist? Oder sagen wir: Die Menschen sind alles nur „Spreu“, die werden alle vom Wind weggeweht? Nein, Jesus sagt nicht: „Die Leute sind Spreu.“ Er sagt: „Die Felder sind reif zur Ernte.“ Die Menschen warten nur darauf, dass ihnen Jesus verkündigt wird. Wenn das nicht gelten würde, möchte ich kein Priester mehr sein.

Auch dafür einige Beispiele, dass die Ernte tatsächlich heute groß ist:

Wenn der Papst einlädt zu einem Weltjugendtag in Rom, in Toronto, in Köln, in Madrid, dann kommen Hunderttausende und folgen dieser Einladung. Das sind doch junge Menschen, die etwas suchen, die vielleicht etwas suchen, was sie in den Pfarrgemeinden nicht mehr bekommen. Das sind solche Menschen: Reif zur Ernte.

Wenn ich in den letzten Jahren Exerzitien oder geistliche Bibelkurse gehalten habe, die sind in der Regel überfüllt. Die Nachfrage ist so groß, dass wir gar nicht allen Anfragen nachkommen können.

Oder ein anderes Beispiel: Wir haben vor etwa zwanzig Jahren angefangen, Predigten und Vorträge auf Kassetten zu verkaufen. Inzwischen sind mehr als zweihunderttausend Kassetten verkauft worden. Die Nachfrage ist riesig. Und das ganze ohne Werbung.

Oder wenn ich daran denke, dass katholische Radiosender wie Radio Horeb oder Radio Maria, oder im evangelischen Bereicht der Evangeliumsrundfunk oder Bibel TV sich in den letzten Jahren explosionsartig ausbreiten.

All das zeigt aber nur, dass es stimmt, was Jesus sagt: Die Ernte ist groß. Und es macht so froh, dass man das miterleben darf, bei dem vielen, was in unserer Kirche und Gesellschaft im Argen liegt.

 

Aber ein letzter Punkt in diesem Lagebericht:

„Die Ernte ist groß“, sagt Jesus, „aber es gibt so wenig Arbeiter.“ Natürlich kann man zunächst daran denken, dass sich das auf den mangelnden Priesternachwuchs in unserem Land beziehen lässt. Die Zahl der Priester geht kontinuierlich zurück. Immer weniger Pfarrer müssen immer mehr Pfarrgemeinde versorgen.

Aber das gilt nicht nur in Bezug auf den Priesternachwuchs. Hier ist sehr konkret von „Arbeitern“ die Rede. Christus rechnet damit, dass Menschen in allen Lebensbereichen sich in Dienst nehmen lassen, dass sie „in die Arbeit im Weinberg Gottes“ gehen in den Gemeinden, dass sie die Botschaft vom Reich Gottes, von der Liebe Gottes den Menschen weitersagen. Jesus rechnet damit, dass Mütter, Väter, Gruppenleiter, Organisten, Arbeiter in den Betrieben, jeder an dem Platz, an den er gestellt ist, „priesterlichen“ Dienst tut, dass er in diesem Sinne „Arbeiter in der Ernte“ ist. Und im Blick darauf sagt Jesus: „Es gibt so wenig Arbeiter.“

Eine größere Not als der Priestermangel ist in unserer Kirche, ist die Tatsache, dass viele die Kirche betrachten wie ein Dienstleistungsunternehmen, von dem man einen bestimmten Service erwartet: „Bitte bringen Sie mir ...“ Und wenn sie diesen Service nicht bekommen, dann gehen die Leute auf die Barrikaden und fangen an zu schimpfen. Wo sind die Leute, die noch verbindlich mitarbeiten in den Pfarrgemeinden? Leute, die sagen „Ohne mich!“ und die dann die Kirche kritisieren, gibt es genug. Aber es gibt so wenig Arbeiter. Das ist die Not.

 

Das ist der Bericht zur Lage, den Jesus abgibt.

Welche Folgerung zieht Jesus aus diesem Bericht? Zwei Folgerungen, noch ganz kurz als Anhang:

Das erste: Jesus hat Mitleid. Er sieht die Menschen und hat Mitleid. Er macht ihnen keinen Vorwurf. Er macht auch heute den Menschen keinen Vorwurf. Er sieht die Situation ganz nüchtern, und er hat Mitleid. Wenn man dieses Wort Mitleid ganz wörtlich übersetzt, dann steht da ein Ausdruck, der bei uns etwa heißt: „Es geht ihm an die Nieren.“

Und dann sagt Jesus den Jüngern nicht: „Organisiert eine Werbekampagne für Berufe der Kirche mit einer großen Plakataktion.“ Nein, er sagt: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sendet.“ Und vielleicht ist das die Botschaft, die wir heute in der Kirche dringend lernen müssen: Es geht nicht darum, dass wir ein Werbebüro beauftragen, sondern: Bittet den Herrn der Ernte, dass er Menschen bereit macht, sich wieder als „Arbeiter“ in seinen Dienst zu stellen.

Vielleicht ist das gerade auch für die älteren Menschen in unserer Kirche der Dienst, der ihnen im Besonderen aufgegeben ist. Vielleicht können Ältere nicht mehr groß mit „anpacken“, aber diesen Dienst, dass sie beten um Arbeiter, den können sie tun. Aber es ist nicht nur die Aufgabe der Älteren. Es gilt für jeden von uns: „Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sendet.“

 

Wenn wir das nicht tun, dann wird vielleicht vieles zusammenbrechen, was heute noch da ist. Aber auf der anderen Seite. Wenn Du bittest, dass der Vater Arbeiter in seine Ernte sendet, dann rechne damit, dass er möglicherweise zurückfragt: „Bist Du nicht bereit zu gehen?“    Amen.

 

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