Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

12. Sonntag B
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Predigten

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Predigt zum Evangelium:   Mk 4,35-41

Predigttext:      Mk 4,35-41

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Das Bild von dem kleinen Schiff auf dem See, das gepeitscht wird vom Wind und den Wellen, ist über die ganzen Jahrhunderte hin gebraucht worden als Bild für die Kirche. Das reicht bis in unsere Lieder hinein. Sie kennen vielleicht das Lied: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt ...“ Immer wieder dieses Bild vom Schifflein Petri das auf dem See von Wind und Wellen gepeitscht wird.

 

Und wenn man die Situation ganz nüchtern sieht, dann wird man ja sagen müssen: Das Schiff unserer Kirche wird in diesen Tagen ziemlich von Wind und Wellen bedrängt. Manchmal könnte man denken, die Kirche ist seit Jahren buchstäblich in einem Wellental, in einem Loch. Manchmal hat man den Eindruck, die Wellen könnten jeden Augenblick über dem Boot der Kirche zusammenschlagen.

Da gab es in der deutsche Kirche die ganze Frage des Beratungsscheins bei der Schwangerschaftskonfliktberatung, wo die deutsche Bischofskonferenz gespalten war. Aber da ist auch die Situation in unseren Gemeinden, in unseren Diözesen. Die bange Frage in vielen kleinen Gemeinden: Wie lange werden wir noch einen eigenen Pfarrer haben? Werden wir mit anderen Pfarreien zusammengelegt? Verlieren wir unsere Selbständigkeit? Oder die bange Frage: Warum werden die Kirchen immer leerer? Es ist so, als wenn die Wellen über dem Boot der Kirche zusammenschlagen.

 

Und das ist in unserem Evangelium heute auch so. Aber das Schlimmste ist hier im Evangelium: Jesus ist mit im Boot, aber er schläft. Er schläft hinten im Boot, als wenn es ihn überhaupt nicht kümmern würde, dass die Wellen über dem Boot zusammenschlagen.

Haben wir nicht auch manchmal den Eindruck in unserer Kirche heute: Wir müssen allein abmühen. Gut, wir wissen: Jesus ist das Haupt der Kirche, er sitzt in unserem Boot. Aber wir haben auch manchmal den Eindruck, dass er schläft, dass es ihn überhaupt nicht interessiert, was mit der Kirche in Deutschland geschieht. Ist das so?

 

Wenn man in unser Evangelium etwas genauer hineinschaut, dann wird man merken: Ja, Jesus schläft auf einem Kissen hinten im Boot. Aber dieses Schlafen Jesu ist nicht Gleichgültigkeit, als wenn ihn das gar nicht interessieren würde. Dieses Schlafen Jesu im unruhigen Boot ist gleichsam das, was wir in einer Redensart ausdrücken, wenn wir davon sprechen: „Er schläft den Schlaf des Gerechten.“ Jesus weiß sich mitten im Sturm geborgen in der Hand des Vaters, und darum kann er mitten im Sturm auf einem Kissen seelenruhig schlafen.

Und das ist das Große, was wir von Jesus lernen können: Er ist in unserem Schiff der Kirche heute da. Und mögen die Stürme noch so sehr über die Kirche peitschen, wir dürfen uns geborgen wissen in der Hand Gottes. Darum brauchen wir nicht verzagt sein, darum darf uns mitten in den Stürmen ein tiefer Friede und eine ganz tiefe Gelassenheit und Ruhe prägen.

 

Im Alten Testament, beim Propheten Jesaja, hat Gott einmal zum Volk Israel gesagt: „Fürchte dich nicht ich bin mit dir (ich bin in deinem Boot). Musst du durchs Wasser gehen, dann werden die Wellen nicht über dir zusammenschlagen. Musst du durchs Feuer gehen, dann wird die Flamme dich nicht verbrennen“, denn ich bin mit dir. Und das waren nicht leere Sprüche. Das ist im Volk Israel Realität geworden.

Zwei Beispiele dafür:

Dasteht das Volk Israel kurz nach dem Auszug aus Ägypten vor dem Roten Meer. Die Ägypter setzen ihnen nach mit Reitern und Wagen . Es war eine aussichtslose Situation: Vor sich das Meer, rechts und links die Wüste, hinter sich die Ägypter. Natürlich haben die auch geschrieen: „Herr, kümmert es dich gar nicht, dass wir zugrunde gehen?“ Aber Gott war mit ihnen. Und dann sagt Gott zu Mose: „Streck deine Hand über das Meer aus.“ Und die Israeliten konnten trockenen Fußes durch das Meer ziehen.

 

Oder eine andere Geschichte, diesmal im Buch Daniel.

Da wird von drei jungen Männern berichtet, die sich weigerten, den König als Gott zu verehren. Der König hatte befohlen: Ich lasse hier ein Standbild aufstellen, und wer nicht vor dem Standbild auf die Knie geht und dieses Standbild als Gott verehrt, der wird in einen glühenden Feuerofen geworfen. Und diese drei jungen Männer sagen: Und wenn du uns in den Feuerofen wirfst, wir werden dein Standbild nicht anbeten, und dich nicht als Gott verehren. Der König lässt sie tatsächlich in den Feuerofen werfen.

Aber dann kommt das Merkwürdige: Das Feuer verbrennt diese drei nicht, obwohl der Feuerofen stärker geschürt war als sonst. Und dann, zum Schluss dieser Geschichte, als der König die drei jungen Männer wieder herausholen lässt, klingt es schon fast wie Ironie, wenn es am Ende heißt: „Es war noch nicht einmal Brandgeruch an ihren Kleidern.“

„Musst du durchs Feuer gehen, die Flammen werden dich nicht versengen. Musst du durchs Wasser gehen, die Fluten werden über dir nicht zusammenschlagen.“

 

Eins gilt bei diesem Wort allerdings auch, das dürfen wir nicht übersehen: Du musst durch die Fluten hindurch, und du musst durchs Feuer hindurch. Gott bewahrt uns nicht davor, dass wir in stürmische See kommen. Gott bewahrt uns nicht davor, dass wir durchs Feuer gehen müssen. Aber er bewahrt uns in der stürmischen See, und er bewahrt uns im Feuer. Das ist das Geheimnis.

 

Das waren jetzt zwei Beispiele aus dem Alten Testament. Ich will Ihnen aber auch zwei Beispiele sagen, die ich selber erlebt habe, wo das genauso Wirklichkeit geworden ist.

Das erste habe ich erlebt, da hatte ich das Licht der Welt noch gar nicht erblickt, da war ich noch im Schoß meiner Mutter. Im Jahr 1944, kurz vor meiner Geburt, ist meine Heimatstadt Rheine furchtbar bombardiert worden, sie ist fast dem Erdboden gleich gemacht worden. Meine Mutter hat mir erzählt: Wenn damals die Luftangriffe kamen und die Sirenen heulten, dann sind die Nachbarn immer zu meinen Großeltern in den Keller geflüchtet, weil das auf der ganzen Straße der stabilste Keller war. Und natürlich, wenn dann Fliegeralarm kam, haben die Leute geschrieen und es herrschte oft Panik. Da hat auch mancher zu seinem Gott geschrieen: „Warum lässt du das alles zu? Wo bist du denn jetzt?“

Dann erzählte meine Mutter Folgendes: An einem Abend, als wieder Fliegeralarm kam und die Leute im Keller vor Entsetzen geschrieen haben, hat ein alter Mann mitten in dieser Panik laut angefangen zu beten: „Vater unser, der du bist im Himmel ...“, so hieß begann das Vater unser damals noch. Der Mann hat einfach nur das Vater unser gebetet. Und Mutter sagte: Es war ganz merkwürdig, es wurde absolut still im Keller. Jeder, der dabei war, spürte: Hier betet nicht einer aus Panik zu seinem Herrgott, sondern hier betete einer, der sich geborgen wusste in der Hand des Vaters. Und obwohl der „nur“ das Vater unser gebetet hat, breitete sich diese friedvolle Atmosphäre, dieser Trost, diese Geborgenheit auf alle aus, die damals im Keller saßen.

Gott bewahrt nicht vor dem Leid, aber er bewahrt im Leid.

 

Das zweite habe ich erlebt als junger Kaplan. Ich werde nachmittags ins Krankenhaus gerufen in Recklinghausen. Da lag ein dreizehnjähriger Junge mit Leukämie im Sterben. Die Ärzte und Schwestern haben gesagt, er würde die Nacht nicht überleben. Ich sollte ihm die Krankensalbung spenden und ihm die Kommunion bringen. Ich bin hingegangen. Als ich am nächsten Morgen angerufen habe, sagten mir die Schwestern von der Station: „Der Junge lebt noch. Wider Erwarten hatte er die Nacht überlebt.“ Und dann hat dieser Junge mit dreizehn Jahren noch wochenlang auf der Intensivstation gelegen. Ich habe ihn regelmäßig besucht. Scheinbar ging es ihm von Tag zu Tag besser.

Aber dann hat er durch die offene Tür zufällig mitgehört, wie die Ärzte sich auf dem Flur über ihn unterhalten haben: dass er keine Überlebenschance hat. „ Sein guter Zustand täuscht. Bei der kleinsten Infektion ist er tot.“ Das hatte der Junge mitgehört. Aber er hat das für sich behalten. Einmal hat er mir unter Tränen gesagt: „Warum lügen die mich alle an und sagen, dass es wieder besser wird?“ Schließlich hat er auch mit der Stationsschwester darüber gesprochen. Und dann hat dieser Junge, den ich regelmäßig besucht habe, und dem ich regelmäßig die Kommunion gebracht habe, eine solche Gelassenheit an den Tag gelegt, dass die Ärzte, die Pfleger und die Schwestern es nicht mehr verstehen konnten. Sie haben mir erzählt: „Es ist uns manchmal kalt über den Rücken gelaufen.“ Da war nichts von Angst zu spüren, sondern dieser dreizehnjährige Junge wusste sich in der Hand Gottes geborgen.

Und als er dann starb, konnte ich leider nicht dabei sein. Aber wenn es zu Ende geht, dann laufen ja noch einmal alle hektisch im Krankenzimmer zusammen. Und das letzte, was er den Ärzten gesagt hat, bevor er starb: „Ob ihr jetzt viel tut, oder ob ihr jetzt wenig tut, ihr seid doch alle nur Handlanger Gottes.“ Und dann ist er gestorben. Und hinterher sagte mir die Stationsschwester: „Dieser dreizehnjährige Junge hat an uns, am Krankenhauspersonal, mehr Seelsorge getrieben, als der Krankenhauspfarrer in zehn Jahren.“ Da war ein Junge, der wusste: Mitten in dieser aussichtslosen Lage bin ich in der Hand Gottes geborgen.

 

Jeder, der in solche Situationen kommt, ob als Einzelner, ob als Familie, oder als Kirche, oder als Gemeinde, darf wissen: Jesus ist da! Möglicherweise schläft er, aber wenn er schläft, ist das ein Zeichen, dass Du ganz ruhig und gelassen sein kannst, weil Gottes Hand Dich hält.  Amen.

 

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