Pfarrer Karl Sendker

Predigten - Hilfen zur Bibelarbeit

Gottesdienste - geistliches Leben

 

23. Sonntag B
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Predigten

Predigtverzeichnis  nach Bibelstellen geordnet

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Predigt zur 1. Lesung:  Jes 35,4-7a

Predigt zur 2. Lesung: Jak 2,1-5

Predigt zum Evangelium:  Mk 7,31-37    Predigt als Video

Predigttext:    Jes 35,4-7a

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

In der Lesung aus dem Propheten Jesaja heißt es heute: „In der Wüste brechen Quellen hervor, und Bäche fließen in der Steppe. Der glühende Sand wird zum Teich und das durstige Land zu sprudelnden Quellen.“ Das ist eine Verheißung.

Als ich diese Lesung gelesen habe, da fiel mir als erstes folgende Begebenheit ein: In den Jahren  nach der Wiedervereinigung 1989 ist unser damaliger Bundeskanzler Helmut Kohl durch die neuen Bundesländer gereist und hat ihnen blühende Landschaften versprochen. Vielleicht erinnern Sie sich noch. Blühende Landschaften. Und dann hat er hingewiesen auf die Währungsunion auf die starke D-Mark usw.

Aber dann kam die große Enttäuschung. Dann kam zum Teil Verbitterung, und die Menschen waren entmutigt. Zum Teil ist das bis auf den heutigen Tag so.

Noch etwas ist mir zu der Lesung eingefallen: 30 Jahre früher, im Januar 1959 hat Papst Johannes XXIII. ebenfalls von „blühenden Landschaften“ gesprochen. Als er das Konzil ankündigte, hat er gesagt: „Gott wird noch einmal ein neues Pfingsten schenken, es wird eine große Blüte, einen großen Aufbruch in der Kirche geben.“ Und dann kam das Konzil. Es kam die Liturgiereform. Wir konnten auf einmal den ganzen Gottesdienst in Deutsch halten. Dann kamen Ansätze von Demokratisierung in der Kirche Die Bischofskonferenzen bekamen Mitspracherechte in der Kirche.

Aber dann kam bei vielen Christen die große Enttäuschung, die bis auf den heutigen Tag anhält. Es dann kam Resignation, Verbitterung und Mutlosigkeit, gerade auch in den Kirchen im deutschsprachigen Raum.

 

Und in diese Situation hinein kommt heute die Botschaft aus den Propheten Jesaja: „Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht!“ Aber was dann der Prophet Jesaja ankündigt, heißt nicht: Schaut, da ist die starke Währung, oder: schaut, da kommt die Liturgiereform. Das ist alles Menschenwerk. Die ermutigende Botschaft des Propheten Jesaja heißt: „Seht, hier ist euer Gott. Er selbst wird kommen und euch erretten.“

Solange wir Heil, „blühende Landschaften“, eine Blüte der Kirche von Menschenwerk erwarten, wie das auch immer aussehen mag, es wird am Ende immer Enttäuschungen hervorbringen und Resignation. Es braucht den Hinweis: Seht, hier ist euer Gott. Er selbst wird kommen, er selbst wird „blühende Landschaften“ schenken auch in der Kirche.

 

Ein ermutigendes Zeichen für mich in unserer heutigen Zeit sind zum Beispiel die großen Weltjugendtreffen in Rom, in Köln, in Australien. Wie man da den Papst zugejubelt hat. Da hat der Papst Benedikt wie auch vorher Papst Johannes Paul II. für die jungen Menschen, die zum Jugendtreffen gekommen sind, eine Botschaft Ermutigung gehabt. Und im Zentrum der Botschaft steht immer: „Seht, hier ist euer Gott!“ Der Papst hat die jungen Menschen ermutigt, auf Jesus Christus zu schauen, mit ihm zu rechnen und ihm ihr Leben anzuvertrauen. Das war der Mittelpunkt seiner Botschaft. Und diese Botschaft hat die Jugendlichen mitgerissen. Das ist das Zentrum. Da entsteht eine neue Blüte der Kirche. „Seht, hier ist euer Gott!“

 

Und was verheißt der Prophet Jesaja dann? Wenn die Menschen auf den lebendigen Gott schauen, dann werden die Augen der Blinden geöffnet und die Ohren der Tauben können wieder hören.

Nun könnte man denken: das ist ein Hinweis auf Jesus, der zum Beispiel im heutigen Evangelium den Taubstummen geheilt hat.

Aber im Zusammenhang des Propheten Jesaja ist damit etwas anderes gemeint. Als der Prophet Jesaja seine Berufung von Gott bekommt, dann sagt Gott ihm: „Das Herz dieses Volkes ist verstockt. Sie hören deine Botschaft und hören doch nicht. Sie sehen mein Wirken und sie sind verblendet, sie sehen doch nicht. Ihr Herz ist verstockt.“

 

Wenn wir auf die Kirche im deutschsprachigen Raum schauen: Wir haben heute in unseren Kirchen viele Menschen mit verstockten Herzen, mit verklebten Augen, mit zugestopften Ohren. Sie sehen zwar etwas, aber sie erkennen trotzdem nicht, was Gott wirkt. Sie jammern immer nur über den Zustand der Kirche, und entdeckten gar nicht, welche Aufbrüche Gott heute in der Kirche weltweit schenkt. Sie hören wohl die Botschaft, und haben doch nichts gehört. Die Botschaft Gottes erreicht nicht ihr Herz.

Und da kommt die Verheißung: Wenn wir wieder lernen, auf den lebendigen Gott zu schauen, der selber kommt, um uns zu erretten, dann wird er selbst diese verstockten Herzen aufbrechen, dass wir nicht mehr sehen und doch nie sehen, hören und doch nicht hören. Dann wird unser Herz, unser Ohr, unser Auge geöffnet für sein Wirken hier in dieser Welt.

 

Gut, da braucht es auch den Mut zur Umkehr Und Umkehr bedeutet: Ich bin bereit, auf Gott zu schauen und nicht auf mich zu schauen. Umkehr bedeutet, dass nicht mehr ich das Maß aller Dinge bin, sondern dass Gott das Maß aller Dinge ist. Gott wird es bewirken, dass die Augen der Blinden in dieser Weise geöffnet werden, und die Ohren der Tauben wieder offen sind. Die Verstockung des Herzens wird aufgebrochen.

 

Und dann, wenn das geschieht, dann kommt aufs Neue die Botschaft am Ende unserer Lesung aus dem Propheten Jesaja: „Dann brechen in der Wüste Quellen hervor.“ Die Wüste ist der Ort, wo man am allerwenigsten Quellen erwartet. Da, wo kein Mensch etwas erwartet, da wird Wasser sprudeln. Wo kein Mensch etwas von der Kirche erwartet, da wird auf einmal eine neue Blüte geschenkt werden. Ich rechne damit, ich glaube da, ich strecke mich danach aus. Und jeden Tag schaue ich aus, ob man davon schon etwas sehen kann.

 

Woher nehme ich den Mut, daran zu glauben? Einmal bekomme ich Ermutigung aus der Heiligen Schrift. Da hat das Volk Israel auf dem absoluten Tiefpunkt einen neuen Blüte erfahren durch das Wirken Gottes. Als sie in der babylonischen Gefangenschaft sind und keinen Ausweg mehr sahen, da hat Gott sie zurückgeführt nach Jerusalem. Keiner hatte damit gerechnet, und Gott hatte eingegriffen.

Da ist die Kirche im Mittelalter geschüttelt worden, noch viel stärker, als wir es heute erleben. Und dann hat Gott einen Franziskus geschenkt, der die Kirche erneuert hat. Gott hat die Kirche durch Franziskus einer neuen Blüte geführt.

Und wenn wir von Gott geöffnete Augen bekommen, dann sehen wir, wo solche Pflänzchen der Erneuerung auch heute in unserer Kirche überall sichtbar werden. Gut, es sind oft nur kleine Pflänzchen. Aber ich bin ganz sicher: Da wächst etwas. Und das macht Mut.

Wozu uns der Prophet Jesaja hier in unserer Lesung auffordert: „Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht!“, das ist auch meine Botschaft heute: „Seht, hier ist euer Gott! Er selbst wird kommen und euch erretten.“ Gott wird die Kirche erneuern. Er wird eine neue Blüte schenken.   Amen.

 

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Predigttext:      Jak 2,1-5

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

„Glaube, der den Alltag prägt.“ Unter dieser Überschrift möchte ich heute und an den nächsten Sonntagen die Lesungstexte aus dem Jakobusbrief betrachten. „Glaube, der den Alltag prägt“.

Ich habe letzten Sonntag schon gesagt: Jakobus ist kein großer Theoretiker wie der Apostel Paulus, der große theologische Gedankengebäude errichtet hat, und der manchmal schwer zu verstehen ist. Nein, Jakobus ist Praktiker. Ihm geht es darum, wie man diesen Glauben im Alltag leben kann. Das ist sein Anliegen. „Glaube, der den Alltag prägt“

Aber wenn Jakobus gleichsam „handgreiflich“ wird, bedeutet das auch: Man kann dem Jakobus so schlecht ausweichen, wenn er uns gleichsam einen Spiegel vorhält.

Ein Beispiel dafür: Da schreibt er heute am Anfang unserer Lesung wie so einen Grundsatz: „Haltet den Glauben an Jesus Christus frei von jedem Ansehen der Person.“ Da stimmen wir natürlich alle zu bei so einem grundsätzlichen Satz. Natürlich, das soll gelten: „Haltet den Glauben an Jesus Christus frei von jedem Ansehen der Person.“ Aber dann geht es ganz handgreiflich weiter, und dann spürt man auf einmal, dass wir uns alle an die eigene Nase fassen müssen.

Jakobus schreibt als Beispiel: Da kommt ein Mann in eure Versammlung – gemeint ist die Gottesdienstversammlung- mit prächtigen Gewändern, mit Schmuck. Man sieht sofort: das ist ein Reicher. Den lässt man ganz vorne auf den Ehrenplätzen Platz nehmen. Dann kommt ein Armer in schlichter, einfacher Kleidung. Und dem sagt ihr dann: Du kannst dich da hinten irgendwo hinstellen. Vielleicht muss er sogar draußen stehen blieben.

Das darf nicht sein! Macht ihr da nicht Unterschiede nach einem falschen Maßstab, sagt der Apostel Jakobus. Ich denke schon, das ist ein Spiegel, den wir für unsere Kirche heute (und wahrscheinlich die ganzen Jahrhunderte hindurch) dringend nötig haben.

Ich will einige Beispiele nennen: Ich habe als kleiner Messdiener selber miterlebt -und die älteren müssten das auch noch wissen -: Es hat früher Beerdigungen gegeben 1. Klasse, 2. Klasse und 3. Klasse.

Wenn einer genügend Geld hatte und für eine Beerdigung genügend bezahlt hatte, dann bekam er eine Beerdigung 1. Klasse. Ebenso wenn einer Mitglied im Kirchenvorstand war. Praktisch bedeutete das: Wenn die Pfarrei etwas größer war, dann standen drei Priester am Altar. Dann wurde ein Levitenamt gelesen; dann wurde ein Katafalk aufgestellt.

Wenn einer aber arm war, Sozialhilfeempfänger würde man heute vielleicht sagen, dann gab es eine ganz schlichte Beerdigung. Es wurden dann nicht drei Kerzen am Altar angezündet sondern nur eine.

So war das damals. Aber das ist nicht nur Schnee von gestern. Dieses Denken, diese Mentalität steckt bis heute in uns drin. Ich kann mich noch gut erinnern an die Fugzeugkatastrophe in Rammstein 1988. Damals wurde der Trauergottesdienst im Fernsehen übertragen. Vorne in der ersten Reihe saßen bei diesem Trauergottesdienst der Bischof, der Bürgermeister, alle Honoratioren, Ministerpräsident – vielleicht sogar mit Amtskette -, aber die Bewohner von Ramstein, die einfachen Leute, die daran beteiligt waren, die haben draußen im Regen gestanden. Eine Videoleinwand gab es damals noch nicht; die beteiligten Leute haben draußen im Regen gestanden und haben über Lautsprecher den Gottesdienst mitverfolgen können.

Das ist ein falsches Denken. Auch hier gilt: Das ist bis auf den heutigen Tag noch so. Es kommen immer wieder Menschen zu mir, die sich beschweren über ihren Pfarrer, über ihre Pfarrei. Da kommen manchmal so Äußerungen – und ich habe das gelegentlich nachgeprüft, das stimmt wirklich -: Für die normalen Christen gelten in vielen Pfarreien feste Tauftermine, daran muss sich jeder halten. Aber wenn du genug Geld auf den Tisch legst, bekommst du auch einen Tauftermin zu dem Zeitpunkt, den du dir aussuchst.

Ich kann mich erinnern, dass es einmal viel Ärger in einer Pfarrei gegeben hat, wo ein Bürgermeister am Sonntagnachmittag in der Kirche mit einer heiligen Messe seine Silberhochzeit feiern durfte. Alle anderen dürfen das nicht.

Ich glaube, wir müssen sehr aufpassen, dass wir den Glauben an Jesus Christus, unser ganzes Christenleben, freihalten vom Ansehen der Person. Und das kann sehr praktisch werden.

 

Es hat Jesus ausgezeichnet, dass er zu allen hingegangen ist. Er ist zu den Reichen gegangen, er ist zu den Theologen und Pharisäern gegangen. Aber er ist auch zu den ganz einfachen Menschen gegangen. Er hat sich nicht gescheut, mit dem größten Sünder (z.B. Zachäus) Tischgemeinschaft zu haben.

Es hat die Urgemeinde in Jerusalem ausgezeichnet, dass sie keine Unterschiede gemacht hat. Da saß der Sklave am gleichen Tisch wie der Herr. Da gab es nicht ‚Oben’ und ‚Unten’. Das ist die Kraft des Glaubens; und vieles haben wir von dieser Kraft des Glaubens im Laufe der Geschichte in unseren Kirchen verloren.

 

Ein zweites, wiederum ganz praktisch. Da sagt Jakobus: Es ist überhaupt schon ein Missstand, dass ihr Unterschiede macht. Aber wenn ihr Unterschiede macht, dann habt ihr auch noch den falschen Maßstab. Ihr verachtet die Armen und fördert die Reichen.

Bei Gott, sagt Jakobus, ist es umgekehrt. „Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie zu Erben der Königsherrschaft zu machen?“ Gott hat eine Vorliebe für die Armen, wenn überhaupt schon Unterschiede gemacht werden.

Jetzt darf man das nicht missverstehen, als würde Gott Unterschiede machen in diesem menschlichen Sinn. Ich will versuchen zu erklären, was damit gemeint ist: Gott bietet die Königsherrschaft, die Fülle des Lebens allen Menschen hier in dieser Welt an, allen ohne Unterschied. Dem Sünder wie dem Gerechten, dem Frommen wie dem Gottlosen, Gottes Angebot gilt allen.

Aber Gott hat mit den Reichen ein Problem, und zwar folgendes: Die Reichen in dieser Welt sind oft der Ansicht, sie brauchten Gott gar nicht. „Wir haben ja unsere Beziehungen, wir haben unsere Aktien, wir haben unser Konto, wir haben unsere strahlende Gesundheit, wir haben ein Häuschen …, wir brauchen Gott gar nicht.“ Aber die Armen in dieser Welt, die stehen mit leeren Händen vor Gott und wissen, dass sie alles von Gott erwarten dürfen und erwarten müssen. Und darum schaut Gott auf die Armen, weil die mit leeren Händen vor ihm stehen. „Hat nicht Gott die Armen in der Welt auserwählt, um sie zu Erben des Königreichs zu machen?“, schreibt Jakobus.

 

Es gibt in der katholischen Kirche einen heiligen Diakon, Laurentius. Er hat ungefähr 250 nach Christus in Rom gelebt. Er war Diakon des Papstes, und als Diakon des Papstes musste er das gesamte Vermögen der Kirche von Rom verwalten. Als der römische Kaiser zu der Zeit einmal Ebbe in der Kasse hatte, wollte er das Vermögen der Kirche beschlagnahmen. Er hat Soldaten zu Laurentius geschickt, weil er wusste, dass Laurentius das Vermögen der Kirche verwaltet. Er hat ihn unter Androhung von Folter zwingen wollen, das Vermögen, die Schätze der Kirche, herauszugeben. Da hat Laurentius zu den Soldaten gesagt: „Kommt einmal mit, ich führe euch jetzt zu den Schätzen der Kirche.“ Er ist dann mit den Soldaten ins Elendsviertel von Rom gegangen, ins Armenviertel, wo normalerweise keiner von den Offizieren hinkam. Und dann hat er den Soldaten gesagt: „Hier, die Menschen hier, die Armen, das sind die Schätze der Kirche.“

„Hat nicht Gott die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen?“ Laurentius hat verstanden, was der Jakobus meinte. Ob wir ihn heute auch verstehen?  Amen!

 

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Predigttext:      Mk 7,31-37

 

Predigt als Video

 Liebe Schwestern und Brüder!

 

Wenn jemand Pfarrer werden soll in einer Pfarrei, dann ist es üblich, dass vorher ein Vorstellungsgespräch stattfindet mit dem Pfarrgemeinderat und dem Kirchenvorstand. Beim Vorstellungsgespräch hier in Herongen wurde mir mit Nachdruck mehrmals gesagt: „Wir wünschen uns einen Seelsorger.“ Klar, eine Gemeinde wünscht sich einen Seelsorger. Und darum bin froh, dass das Evangelium heute von der Heilung des Taubstummen uns Jesus vor Augen malt, wie er Seelsorge getrieben hat. Und an der Art und Weise, wie Jesus Seelsorge getrieben hat, muss sich wohl jeder Seelsorger messen lassen, und muss sich jeder messen lassen, der mit anderen Menschen umgehen will, so dass es ihnen zum Heil gereicht.

Wir wollen uns heute einfach Jesus als Seelsorger anschauen bis in die Kleinigkeiten hinein. Wie ist er mit diesen Menschen umgegangen, die sie zu ihm gebracht haben, mit diesem Mann, der taubstumm war, der nicht reden konnte und der nicht hören konnte?

 

Ein Erstes, und das haben sie beim Hören gar nicht mitkriegen können, das kann man nämlich auch gar nicht hören. Das kann man nur sehen, wenn man es liest und wenn man gleichzeitig einen Bibelatlas vor sich hat. Jesus befindet sich, als er nach Galiläa zurückkehrt ganz im Norden. Tyrus und Sidon ist heidnisches Grenzgebiet in Richtung Syrien, im heutigen Libanon. Er ist unterwegs zum See von Galiläa. Und jetzt befindet er sich auf einmal in der so genannten „Dekapolis“, das heißt im „Gebiet der zehn Städte“. Das heißt: Er hat einen Riesenumweg gemacht. Das ist ungefähr so als wenn man von München nach Nürnberg fährt und macht einen „kleinen“ Umweg über Regensburg. So ähnlich kann man sich das vorstellen.

Dieses Gebiet der „zehn Städte“ hatte eine überwiegend heidnische Bevölkerung. Ich glaube, darin liegt etwas ganz wichtiges: Zentrum und „Kerngemeinde“ war für Jesus Galiläa. Dort hat er die meisten Wunder gewirkt, dort hat er gepredigt. Aber Jesus geht auch an die Ränder. Seelsorge findet auch heute oft an den Rändern statt. Findet statt bei denen, die nicht mehr jeden Sonntag in der Kirche sind. Die Kirchbesucher brauchen Jesus, brauchen den Seelsorger. Aber Seelsorge findet auch an den Rändern statt. Und an den Rändern findet man denjenigen, der hier nicht reden und nicht hören kann.

 

Ein Zweites: Man bringt den Taubstummen zu Jesus. Was macht Jesus mit ihm? Das erste, was dann gesagt wird: Jesus nimmt den Taubstummen beiseite, für sich ganz alleine, abseits von der Menge. Er signalisiert ihm damit: Du als Einzelner bist jetzt für mich wichtig. Und das ist das typische Kennzeichen Jesu, was uns manchmal so schwer fällt, dass Jesus den Einzelnen mit seiner Not im Blick hat. Da konnten Tausende mit Jesus gehen, er hat den Einen entdeckt, den Zachäus, der auf dem Baum war. Er hat das verlorene Schaf gesucht und hat alle neunundneunzig, die zur „Kernherde“ gehörten, zurückgelassen. Dieses einzelne Schaf war ihm jetzt wichtig. Und jetzt ist ihm dieser einzelne Mann, der Taubstumme wichtig. Seelsorge hat es immer mit dem Einzelnen zu tun. Dem einzelnen Menschen nachzugehen in seiner je verschiedenen Not.

Das fällt uns heute aus mehreren Gründen schwer. Zum einen wird uns durch das Fernsehen und durch die Zeitungen die Not in der Welt so massiv vor Augen geführt, dass man den Einzelnen, der mich braucht, gar nicht mehr sieht. Dann gibt man einen Fünfzigeuroschein, um die große Not in der Welt zu lindern. Und vielleicht merkt man gar nicht, dass neben mir einer einen Händedruck braucht. Den Einzelnen habe ich übersehen, weil die Not in der ganzen Welt so massiv ist.

Noch etwas ist gefährlich ist in diesem Zusammenhang: Wir haben heute bei uns in unserer Gesellschaft für jede Not eine Institution, eine Behörde, die zuständig ist. Das kann das Sozialamt sein, das kann der Caritasverband sein, das Rote Kreuz, die Diakonie; das können viele Dinge sein. Und wie leicht schiebt man einen Einzelnen mit seiner Not zu so einer Behörde ab. Die sind ja dafür zuständig, die müssen ja helfen. Gut, wir dürfen dankbar sein, dass es diese Institutionen gibt. Ohne die wäre Hilfe manchmal gar nicht möglich. Aber ich muss als Seelsorger, als Mensch, der dem anderen Heil bringen will, dem Anderen das Gefühl geben: Du bist mir jetzt wichtig. Und wenn ich ihn wirklich an eine Behörde, an eine zuständige Stelle verweise, dann darf ich ihm nicht das Gefühl vermitteln: Du bist jetzt dahin abgeschoben. Nein, ich begleite dich, vielleicht sogar buchstäblich, ich zeige dir, dass du mir jetzt wichtig bist, und nicht nur die Masse.

Hier reden wir von dem Seelsorger Jesus. Und eins ist ganz sicher: Mögen heute noch so viele Menschen hier in der Kirche sein, Jesus sieht dich in deiner ganz persönlichen Not, natürlich auch in der Freude. Er sieht dich in der Situation, in der du ihn brauchst. Und glaub mir, er geht an dir nicht einfach vorbei.

 

Ein Drittes: Jesus legt dem Taubstummen, der vor ihm steht, die Hände in die Ohren und berührt seine Zunge mit Speichel. Das heißt, ganz buchstäblich gesagt: Jesus gebraucht Zeichensprache. Und das war die einzige Sprache, die der Taubstumme noch verstand. Jesus hätte dem noch so viele tröstende und hilfreiche Worte sagen können, der konnte ja nicht hören, das war ja seine Not. Jesus gebraucht die Sprache, die der Mann verstehen kann: Jetzt sind deine Ohren dran - er legt ihm die Finger in die Ohren. Er berührt seine Zunge - jetzt ist deine Zunge dran. Wissen Sie, was das für uns heute als Seelsorger bedeutet? Wir müssen die Sprache sprechen, die die Menschen verstehen. Wir müssen zum Beispiel in der Predigt die Sprache sprechen, die nicht einfach über die Köpfe der Menschen hinweggeht. Das ist nicht einfach.

Aber es gilt auch noch ein anderes in diesem Zusammenhang: Ich glaube, wir müssen wieder lernen, Zeichensprache, Körpersprache zu gebrauchen. Wir haben in den letzten Jahren gemerkt, wie wichtig es für einen anderen ist, ihm einfach die Hand zu halten. Ich habe viele Exerzitienkurse gehalten und Bibelkurse, wo Menschen auch in Not waren. Und ich habe oft gemerkt: Viel hilfreicher als noch so viele gut gemeinte Worte ist, wenn man den anderen einfach den Arm um die Schulter legt und ihm zeigt: Hier ist jemand für dich da. Ich erinnere Sie an Mutter Teresa, wie sie einfach den Sterbenden in Kalkutta die Hand gehalten hat. Sie konnte ja nichts mehr tun. Davon ist kein Sterbender gesund geworden; sie sind alle gestorben. Aber dadurch, dass sie ihnen die Hand gehalten hat, hat sie ihnen gezeigt: Hier ist jemand für dich da. Diese Körpersprache, diese Zeichensprache müssen wir im Umgang mit anderen Menschen wieder lernen, vielleicht behutsam, aber das kann ganz wichtig sein.

 

Ein Nächstes, was Jesus als Seelsorger mit diesem Taubstummen tut: Es ist nur eine Kleinigkeit, aber die ist so wichtig. Er blickte auf zum Himmel. Wohin blicken wir eigentlich, wenn wir mit der Not von Menschen konfrontiert werden? Meistens blicken wir dann auf die Not. Wir blicken auf die Not, selbst wenn wir beten für einen anderen, der in Not ist. Dann malen wir oft dem lieben Gott die Not ganz groß aus im Gebet. Wir merken gar nicht, dass wir unseren Blick immer nur auf die Not gerichtet haben.

Die Männer und Frauen der Bibel und auch Jesus haben nicht nach unten, auf die Not geschaut. Sie haben nach oben geschaut zu Gott. Und in diesem Zusammenhang auch einmal etwas, was mir immer wichtiger wird. Heute, in den Humanwissenschaften, Psychologie, Soziologie, wird sehr oft, wenn Menschen in Not sind, der Blick nach hinten gerichtet. Woher kommt die Not, wo ist die Wurzel? Und dann wird der Blick nach vorne gerichtet: Welche Methoden haben wir, um diesem, der in Not ist helfen zu können. Das ist wichtig. Aber wie wenige blicken noch nach oben, auf zu dem lebendigen Gott, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden. Wie viele (oder wie wenige) Menschen rechnen noch damit, dass Gott etwas tun kann, auch wenn Menschenmacht am Ende ist. Wie wenige blicken noch nach oben. Jesus hat das getan.

 

Ein Nächstes, auch nur ein einziges Wort: Er blickte zum Himmel empor, und dann heißt es: „Er seufzte.“ Da steht im Griechischen ein ganz starkes Wort. Das heißt, wenn man es wörtlich übersetzt: Da drehen sich einem die Eingeweide um. Wir haben im Deutschen den Ausdruck „das geht mir an die Nieren“, das betrifft mich in meinem tiefsten Inneren. Jesus hat nicht nur, wenn er Not vor Augen hatte, so von oben herab ein paar gute Ratschläge gegeben. Jesus hat die Not zu seiner eigenen Not gemacht. Er hat mit dem anderen „mit gelitten“. Mitleid heißt ja mit gelitten. Hast Du schon einmal über einen anderen geweint, wenn der in Not war? Ist dir die Not schon einmal so nahe gegangen? Gut, in der eigenen Familie vielleicht. Aber wenn jemand zu dir gebracht wurde, der in Not war. Ist dir das an die Nieren gegangen? Das ist Seelsorge.

 

Und dann schließlich fällt auf, dass Jesus in dieser Szene praktisch nichts sagt. Gut, vielleicht hängt das einmal damit zusammen, dass der Taubstumme ja nicht hören konnte. Aber ein Wort spricht er, nur ein einziges Wort: „Effata, öffne dich!“ Und das ist nicht ein Gebet an den Vater, das ist das merkwürdige, sondern es ist ein Kommando: „Öffne dich!“

Wenn wir das Leben Jesu betrachten, dann werden wir merken, dass Jesus ganz oft, wenn er mit Not konfrontiert wird, ein Kommando spricht. Beim Sturm auf dem Meer, als die Wellen ins Boot schlagen, hat Jesus nicht gebetet: „Vater, jetzt lass den Sturm aufhören!“ Er hat sich hingestellt und hat dem Sturm geboten: „Schweig, sei stille!“ Und der Sturm hat sich gelegt. Jesus steht an der Gruft des Lazarus; und er betet nicht: „Vater, mach den Lazarus wieder lebendig!“ Nein, er ruft in die Gruft: „Lazarus, komm heraus!“ Und der kam heraus. Genauso ruft er hier: „Effata, öffne dich!“ Der Taubstumme konnte wieder hören, und er konnte wieder reden.

Irgendwie klingt das nach der Schöpfungsgeschichte am Anfang der Bibel: Gott sprach: „Es werde Licht!“ Und es wurde Licht. Das Wort Gottes, das Wort Jesu, hat schöpferische Kraft. Ich weiß nicht, ob es uns Menschen gegeben ist, auch in Vollmacht ein solches schöpferisches Wort zu sprechen. Die Apostel haben das zum Teil getan. Im Leben der Heiligen wird das berichtet, dass sie das getan haben. Und Gott hat eingegriffen. Ob es uns gegeben ist, ich weiß es nicht. Vielleicht sind wir manchmal zu zögerlich in dieser Hinsicht. Aber eins gilt sicher: Das Wort Gottes, das wir in der Heiligen Schrift, in der Bibel haben, hat Kraft, den Menschen aufzurichten, Kraft den Menschen zu verwandeln. Dieses Wort Gottes, wenn wir es in eine verkorkste Situation hineinsprechen, zeigt manchmal neue Perspektiven, auf die man vorher nicht gekommen ist. Und darum ist es für uns in der Seelsorge so wichtig, nicht nur menschliche Worte zu haben, sondern das Wort Gottes in eine Notsituation hinein zu sprechen, weil dieses Wort verwandelnde und heilende Kraft hat.

 

Und wo steht ein Pfarrer in dieser ganzen Geschichte? Jesus als Seelsorger, wo steht ein Pfarrer? Heute morgen, als ich darüber gebetet und darüber nachgedacht habe, da kam mir das Gleichnis, diese Erzählung vom barmherzigen Samariter, wo es am Ende heißt: „Geh hin, und handle genauso.“ Das ist richtig; das möchte ich tun, versuchen. Ob es mir gelingt, dafür brauche ich die Kraft Gottes, dafür brauche ich auch den Beistand der Pfarrgemeinde, die mich trägt.

Aber es gibt noch einen anderen Gesichtspunkt, wo ein Pfarrer in dieser Geschichte steht. Da heißt es am Anfang: „Man brachte einen Taubstummen zu Jesus, damit er ihm die Hände auflegt.“ Ich denke, der vornehmste Dienst des Pfarrers, des Seelsorgers besteht darin, die Menschen zu Jesus Christus zu bringen, damit er sie heilen kann, den ganzen Menschen. Das sehe ich als meine vornehmste Aufgabe an als Priester: Menschen zu Jesus Christus zu bringen. Ihnen Kontakt zu vermitteln mit Jesus Christus, dass er dann als der Heiland, der Heilbringer, an diesen Menschen wirken kann.

Und wenn es am Ende des Evangeliums heute heißt, dass die Leute vor Freude außer sich waren und sagen: „Er  hat alles gut gemacht.“ Natürlich würde ich mir wünschen, dass die Gemeinde über mich als Pfarrer einmal sagt: „Er hat alles gut gemacht.“ Aber das wird wahrscheinlich nie ganz so werden. Aber das ist auch nicht das Eigentliche. Das Entscheidenden ist, dass wir alle, der Pfarrer, die Gemeinde, die Außenstehenden, dass wir alle irgendwann zu der Erkenntnis und zu dem Lobpreis kommen: Ja, Jesus Christus hat alles gut gemacht, und dafür legen wir Zeugnis ab.   Amen.

 

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