Pfarrer Karl Sendker

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6. Ostersonntag C
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Predigten

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Predigt zur 2. Lesung:  Offb 21,10-14.22-23

Predigt zum Evangelium:   Joh 14,23-29

Predigttext:    Offb 21,10-14.22-23

Predigt im MP3 Format

 

Dies ist die fünfte Predigt einer siebenteiligen Predigtreihe zur Offenbarung des Johannes.

 

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Gestern Nachmittag vor der heiligen Messe bin ich noch ein paar Runden um unsere Pfarrkirche gegangen, weil die Sonne so schön geschienen hat. Dabei fiel mein Blick auf die Fenster hier im Chorraum unserer Kirche. Wenn man unsere Fenster so von außen anschaut: ein erhebender Anblick ist das weiß Gott nicht. Durch die Bleiverglasung sehen unsere Fenster von außen aus wie ein großes Puzzle, aber nicht in schönen Farben. Man sieht fast nur grau in grau, gelegentlich einmal ein kleiner Farbtupfer dazwischen. Man sieht, wo schon einmal ein Stein in die Fenster geworfen wurde, und wo die Scheiben ausgebessert waren. Und wenn die Sonne so richtig auf die Fenster scheint, dann merkt man auch, wie dreckig die Scheiben sind. Da kommt ja auch kein Fensterputzer hin.

Aber wenn man dann in die Kirche hineingeht, und schaut sich die gleichen Fenster bei Sonnenlicht von innen an, dann leuchten die auf einmal und strahlen. Und man sollte überhaupt nicht meinen, dass das die gleichen Fenster sind, die von draußen so grau und schmutzig aussehen.

 

Das nicht nur bei den Kirchenfenstern so, sondern das ist so auch mit der Kirche Gottes als ganzer. Die Kirche Gottes ist auf der einen Seite sehr unansehnlich. Da gibt es von den Anfängen der Kirche bis auf den heutigen Tag viele Missstände. Damals, als Offenbarung des Johannes geschrieben wurde, da wurden die Christen gezwungen, dem Kaiser als Gott Weihrauch zu opfern. Und viele Christen sind damals vom wahren Glauben abgefallen, sind schwach geworden. Und auch das Feuer des Heiligen Geistes brannte sechzig Jahre nach der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu nicht mehr so wie in den Anfängen der Kirche. Alles war so alltäglich geworden, so grau und langweilig. Vom Feuer des Ursprungs war nicht mehr viel zu spüren.

 

Aber das ist nur die eine Seite der Kirche. Auf der anderen Seite gibt es in der gleichen Kirche auch ein Leuchten und ein Strahlen. Und davon redet heute die Lesung aus dem 21. Kapitel der Offenbarung des Johannes.

Da wird in diesem großartigen Bild die heilige Stadt beschrieben, das himmlische Jerusalem. Das ist ein Bild für die Kirche. Und sie wird beschrieben mit Bildern des Glanzes und der Pracht. Sie wird beschrieben wie ein kostbarer Edelstein, wie ein kristallklarer Jaspis. Und sie spiegelt die Herrlichkeit Gottes wider.

Das ist auch Kirche. Einmal von außen betrachtet und einmal von innen, gleichsam aus der Perspektive Gottes. Und wir wollen uns heute die Kirche Gottes einmal aus der Perspektive Gottes heraus anschauen, wie Gott sie sieht aus seiner Herrlichkeit heraus, diese große Stadt, die aus den Himmel herabsteigt.

Dazu heute ein paar erklärende Bemerkungen zu den Bildern, die gebraucht werden:

 

Das erste, was wir von dieser Stadt gesagt wird: Sie hat große und hohe Mauern.

Die Mauer ist für eine Stadt ein Zeichen des Schutzes. Die Kirche Gottes, so wie sie ist, steht unter dem Schutz Gottes. Gleich am Anfang, als Jesus den Petrus als Fundament der Kirche eingesetzt hat und ihm die Schlüssel des Himmelreich ist gegeben hat, da sagt er ihm: „Die Pforten der Hölle, die Mächte der Finsternis werden die Kirche nicht überwältigen.“ Und darum hat Gott, in diesem Bild, der Stadt diese starken Mauern gegeben, die ein Schutz für die Stadt sind.

Aber die Mauern um eine Stadt haben noch eine andere Bedeutung. Wenn eine Stadt von starken Mauern umgeben ist, dann gibt es Menschen, die sind drinnen. Es gibt aber auch Menschen, die sind draußen. Es gehören nicht automatisch alle zur Kirche. Es gibt auch Menschen, die sind draußen, die sind nicht drinnen.

Von dieser Mauer heißt es: „Sie hat zwölf Grundsteine; und auf den Grundsteinen stehen die Namen der zwölf Apostel des Lammes.“ Das bedeutet: Die Kirche, diejenigen, die zu dieser Kirche gehören, sind gegründet auf das Fundament der Apostel. Und ich glaube, es ist in unserer Zeit wurde ganz wichtig, das zu betonen.

Es gibt heute auch in unserem Land eine Unzahl von Sekten, alte und neue Sekten, angefangen z.B. von den Zeugen Jehovas. Die haben alle noch irgendwie ein bisschen christlichen Anstrich, und berufen sich auf Jesus. Aber wenn sie nicht apostolische Kirche sind, dann sind sie draußen, dann gehören sie nicht dazu.

Auf der anderen Seite gibt es heute unzählige Menschen, die basteln sich selbst ihre eigene Religion zusammen. Ein bisschen Bergpredigt, ein bisschen transzendentale Meditation ,einiges dem Buddhismus ein bisschen Yoga, ein wenig aus dem Islam. Im Koran stehen auch manche guten Stellen. ... Und so basteln sie sich als ihre eigene Religion zusammen.

Aber solche Menschen stehen nicht innerhalb der Kirche, sie sind draußen. Nur wer auf dem Fundament der Apostel steht, der kann sagen: Ich bin innerhalb dieser Mauern der Kirche.

Ich möchte an dieser Stelle auch einmal folgendes sagen: Neben den vielen Sekten gibt es in unserem Land auch eine ganze Reihe von Freikirchen, wie zum Beispiel die Baptisten. Wissen Sie eigentlich, woran man eine Sekte von einer Freikirche unterscheiden kann? Alle diejenigen, die unser apostolisches Glaubensbekenntnis haben, ohne Abstriche und ohne Zufügungen, das sind unsere Brüder und Schwestern; die sind drinnen. Und dazu gehören z.B. die Baptisten. Aber alle, wie zum Beispiel die Zeugen Jehovas, die Zusätze zum apostolischen Glaubensbekenntnis haben, oder die daran Abstriche machen, die sind draußen. Das ist ein einfaches Kennzeichen. Nur wer auf dem Fundament der zwölf Apostel gebaut ist, der da sagen: Ich bin drinnen.

 

Noch etwas wird von dieser Mauer sehr auffällig gesagt: Sie hat zwölf Tore. Und auf den Toren stehen wieder zwölf Namen geschrieben: die Namen der zwölf Stämme Israels.

Tore in einer Stadtmauer sind der der Zugang in die Stadt. Und das bedeutet: Wenn auf den Toren die Namen der zwölf Stämme Israels geschrieben stehen, dann dürfen wir uns nicht vom Volk Israel, vom Volk der Juden abkoppeln. Durch das Volk Israel haben wir Zugang zur Kirche. Ohne das Volk der Juden wäre der Messias nicht geboren worden; der Messias kommt aus dem Volk Israel. Jesus, der Messias, war selbst Jude. Das dürfen wir nie vergessen. Wir ruhen auf den Fundamenten des Judentums auf. Und jeder, der das Volk Israel negativ abtut, der steht draußen, der hat keinen Zutritt zu Jesus Christus.

In diesem Zusammenhang auch einmal eine andere Bemerkung: Es gibt heute unter den Christen eine Tendenz, das Alte Testament, die Bibel der Juden, abzuwerten. Da sagt man dann: „Im Alten Testament finden wir ja nur den Rachegott. Das Alte Testament brauchen wir nicht so ernst zu nehmen. Uns reicht das Neue Testament.“ Nein, das reicht uns nicht! Das Neue Testament ruht auf dem Alten Testament, auf der Bibel der Juden auf. Und darum brauchen wir das Alte Testament genau so wie das Neue Testament. Und jeder, der das abwertet, der bekommt im buchstäblichen Sinn keinen Zugang zu Jesus Christus, und der gehört nicht nach drinnen, nicht in die Kirche hinein.

 

Etwas Weiteres wird aus der Perspektive Gottes von dieser Stadt, von der Kirche gesagt. Und wieder ist das merkwürdig: Diese heilige Stadt, die Kirche, hat keinen Tempel. Sie hat kein Kirchengebäude mehr, keinen eigenen Ort mehr, wo man anbetet. Wenn man bedenkt, wie wichtig im Judentum der Tempel war. - Das war der Ort, wo Gott seinen Namen wohnen ließ. Es durften nur im Tempel von Jerusalem Opfer dargebracht werden. - Dann ist es umso erstaunlicher, dass Gott hier sagt: Diese heilige Stadt, die Kirche Gottes braucht keinen Tempel mehr. Warum? Weil Gott nicht nur im Tempel von Jerusalem wohnt oder in unserer Pfarrkirche. Nein, Gott wohnt in der Mitte der Menschen, die seinen Namen tragen. Er ist überall anwesend.

Wenn wir gleich nach dem Gottesdienst nach Hause gehen, dann sind wir nicht fern von ihm. Sondern überall, wo Menschen in seinem Namen zusammen sind, da ist er in ihrer Mitte. Das machen wir uns viel zu wenig bewusst.

Ich will ihnen eine Begebenheit erzählen, die jetzt schon fünfundzwanzig Jahre zurückliegt. Ich kenne eine evangelische Schwesterngemeinschaft, eine Gemeinschaft von evangelischem Diakonissen, die so genannten Aidlinger Schwestern. Aidlingen ist ein kleiner Ort in der Nähe von Stuttgart. Diese Schwestern haben eine Bibelschule, eine Krankenpflegeschule und eine Hauswirtschaftsschule. Ich schätze diese Schwesternschaft sehr hoch. Ich verdanke denen im Glauben sehr viel.

Als die vor etwa fünfundzwanzig Jahren zum ersten Mal zusammen mit einem Freund besucht habe, da hat uns die Oberin durch das ganze Mutterhaus geführt. Alles hat sie uns gezeigt. Aber als wir dann wieder zurückfuhren, haben wir im Auto festgestellt: Komisch, die haben uns das ganze Mutterhaus gezeigt, aber sie haben uns nicht ihre Kapelle gezeigt. Normalerweise, wenn man in eine katholische Schwesterngemeinschaft kommt, dann zeigen sie einem zuerst die Kapelle. Aber dieser evangelische Schwestern haben uns ihre Kapelle nicht gezeigt.

Als ich etwa ein Jahr später wieder einmal dorthin zu Besuch kam, habe ich die Oberin gefragt: „Warum haben Sie uns eigentlich im vorigen Jahr ihre Kapelle nicht gezeigt?“ Das sagte die Oberin: „Wir haben keine Kapelle.“ Ich sagte: „Wie bitte?“ „Nein“, sagte sie, „wir haben keine Kapelle.“ Ich hab gefragt: „Wo feiern sie Gottesdienst? Wo beten sie denn?“ Da antwortet sie: „Sonntags gehen wir in den Gottesdienst der evangelische Kirche unten im Ort. Und wenn wir uns täglich zum Gebet treffen, dann treffen wir uns in dem Raum, wo wir auch unsere Freizeit verbringen. In diesem Raum beten wir auch zusammen. Gott ist doch überall. Gott ist nicht nur in einem Kirchenraum; er ist auch in unserem Freizeitraum.“

Im ersten Augenblick war ich etwas schockiert. Das sagt sich so leicht: Gott ist immer und überall da. Aber als sich dann etwa zwei Jahre später wieder einmal in der Gegend war und die Schwestern unangemeldet besuchte, da treffe ich die Pfortenschwester im Eingangsbereich des Mutterhauses. Sie sieht mich, kommt auf mich zu, fällt mir fast um den Hals: „Ach, der Herr Sendker ist wieder einmal da.“ Und im gleichen Atemzug sagte sie: „Jesus, ich danke dir. Jetzt weiß ich auch, warum eben der andere Termin ausgefallen ist. Sonst hätte ich jetzt keine Zeit für den Herrn Sendker gehabt.“ Das war ein nahtloser Übergang. Sie hat mich begrüßt, und sofort wurde daraus ein Gebet: „Danke Jesus, jetzt weiß ich, warum der Termin ausgefallen ist.“

Da spürte man etwas davon: Jesus war wirklich in ihrer Mitte, da wo sie war, jetzt im Pfortenbereich des Klosters. Die brauchten wirklich keine Kapelle. Das hat mir sehr imponiert, es hat mir aber auch sehr zu denken gegeben.

Und noch an etwas anderem merkte man, dass Gott wirklich in ihrer Mitte war. Ich habe nie in der katholischen Kirche ein Schwesternhaus gesehen, wo alle Schwestern so eine Freude ausgestrahlt haben und so eine Heiterkeit, wie dort in diesen evangelischen Diakonissenhaus. Ja, Gott war wirklich in ihrer Mitte, und man spürte das auch.

Wo Menschen seinen Namen tragen, wo Menschen sind, die ihn lieben, da ist Gott wirklich da, auch wenn man nicht gerade in einem Kirchengebäude ist. Wie heißt das heute in unserem Evangelium? Da hat Jesus gesagt: „Wenn jemand mich liebt, dann wird mein Vater ihn lieben, und wir werden kommen und bei ihm wohnen.“ Er wohnt in unserer Mitte.

 

Noch ein Letztes wird von dieser Stadt ganz ausdrücklich gesagt. Das war übrigens am letzten Sonntag in der Lesung auch schon gesagt worden: Diese Stadt kommt aus dem Himmel herab, von oben, von Gott her. Das bedeutet: Die Kirche Gottes wird nicht von unten gebaut, sondern sie ist das Werk Gottes selber. Sie kommt von oben aus dem Himmel herab.

Ich sag das einmal so deutlich, weil es in unserer Kirche gerade auch in Deutschland eine Tendenz gibt, dass wir immer möchten, dass die Kirche sich eine demokratische Struktur gibt. Demokratie heißt aber doch: Alle Gewalt geht vom Volke aus, und das Volk wählt sich ihre Obrigkeit. Aber das ist nicht die Struktur der Kirche. Da geht nicht alle Gewalt vom Volke aus. Und wir wählen uns nicht unseren Gott da oben. Sondern da geht alle Gewalt von Gott aus. (Übrigens auch nicht von den Bischöfen und vom Papst, sondern alle Gewalt geht von Gott aus.) Und wo Menschen sich auf diesen Gott einlassen, ihn in den Mittelpunkt stellen, da merken Sie auch, dass er in ihrer Mitte ist, da erleben Sie die Innenseite der Kirche, die auf einmal leuchtet und strahlt, wie unsere Kirchenfenster, wenn man sie von innen betrachtet.

 

Wir alle sind eingeladen, unseren Blick zu richten auf diesen Gott. Wir sind eingeladen, uns einzulassen auf das Fundament der Apostel. Wir sind eingeladen, den Zugang zu finden durch das Volk der Juden und durch das Alte Testament hindurch. Und dann dürfen wir erleben: Ja, wir haben eine große Stadt. So wie wir es in einem Lied gleich singen: „Eine große Stadt ersteht, die vom Himmel niedergeht in die Erdenzeit.“

Und ich bin so glücklich, das möchte ich auch einmal sagen, dass ich zu dieser Kirche gehöre. Weil ich nicht nur die Außenseite, diese graue, schmutzige Außenseite gesehen habe, sondern weil ich auch dieses Leuchten, die Innenseite der Kirche immer wieder erlebe.  Amen.

 

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Predigttext:    Joh 14,23-29

 

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Kinder!

 

Als ich noch Schüler war, so ungefähr 13 Jahre alt, haben wir in der Schülerbücherei bei uns auf dem Gymnasium – wir hatten damals in der Schule eine eigene Schülerbücherei – durch Zufall ein kleines Taschenbuch entdeckt mit gesammelten Liebesbriefen. Liebesbriefe von bedeutenden Persönlichkeiten aus dem Leben von Dichtern, Musikern, Staatsmännern usw. Wir hatten als Schüler nichts eiligeres zu tun, als dieses Büchlein auszuleihen. Als 13-Jähriger stellt man sich ja alles mögliche vor, was da wohl drinsteht in solchen Liebesbriefen. Aber als wir dann anfingen, dieses Bändchen mit den gesammelten Liebesbriefen zu lesen, da waren wir furchtbar enttäuscht. Auf der einen Seite war die Sprache sehr schmalzig; das haben Liebesbriefe manchmal so an sich, zumindest für einen Außenstehenden. Auf der anderen Seite – bei unseren großen Erwartungen - waren sie furchtbar langweilig. Was hatten wir uns alles vorgestellt!

Ein Jahr später habe ich dann selber einen Liebesbrief bekommen, den ersten und einzigen Liebesbrief in meinem Leben. Meine Freundin machte eine längere Urlaubsreise mit ihren Eltern, und bevor sie abfuhr, hatte sie mir noch einen langen Liebesbrief geschrieben. Und ich habe diesen Liebesbrief behütet und aufbewahrt; ich hab ihn jahrelang mit mir rumgetragen bis er schließlich ganz zerfleddert war. Und es gibt wohl fast kein Schriftstück, das ich so oft gelesen habe, vorwärts und rückwärts, hin und her; und war man dann alles zwischen den Zeilen liest. Sie glauben gar nicht, was man als Verliebter da alles rauslesen (oder auch reinlesen) kann! Auf jeden Fall war dieser Liebesbrief für mich wie ein kostbarer Schatz, den ich behütet und bewahrt habe. Wenn ein Außenstehender diesen Liebesbrief gelesen hätte, dann hätte der vielleicht auch gesagt: So ein Kitsch! Aber für mich war das etwas Unschätzbares, das ich bewahrt habe.

Wie sagt Jesus das heute im Evangelium: „Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten.“ Man könnte auch übersetzen: „...dann wird er mein Wort bewahren.“ Bewahren wie einen Schatz.

Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Da ist ein Mädchen ‚unsterblich’ verliebt in einen jungen Mann. Er wohnt hier in unserem Dorf. Sie wohnt hundert Kilometer weiter in einer Stadt. Nun schreibt dieses Mädchen ihrem Freund jeden zweiten Tag einen Liebesbrief. Und was macht der junge Mann mit den Liebesbriefen: Er lässt sie alle ungeöffnet liegen. Montags kommt der erste Liebesbrief. Und er: „Nein, heute hab ich beim besten Willen keine Zeit zum Lesen, heute haben wir Fußballtraining im Verein; das muss sie doch verstehen.“ Der Brief bleibt ungeöffnet liegen. Der zweite Liebesbrief kommt am Mittwoch. Der junge Mann kommt von der Arbeit nach Hause, sieht die Brief: „Ich bin heute totmüde! Wenn die wüsste, was ich heute für einen Stress auf der Arbeit hatte, wie kaputt ich heute bin. Außerdem schreibt die auch immer so langatmig. Wenn die sich wenigstens kurz fassen würde ...“ Der Liebesbrief bleibt ungeöffnet liegen. Am Freitag liegt der nächste Liebesbrief in seinem Briefkasten. „Nein, heute geht es wirklich nicht, da haben wir Kameradschaftsabend von der Feuerwehr. Wenn die mich wirklich liebt, dann muss sie dafür Verständnis haben, dass ich den Brief heute nicht lesen kann.“ Und so bleibt ein Liebesbrief nach dem anderen ungeöffnet liegen. Natürlich, so eine Situation kann man sich gar nicht vorstellen. Und wenn es das tatsächlich gäbe, dann würde jeder sofort merken: Mit Liebe ist da wohl nicht viel zumindest von Seiten des jungen Mannes.

Aber wenn man das einmal übersetzt: Genau so unmöglich behandeln wir Christen normalerweise Gott. Gott hat uns einen Liebesbrief nach dem anderen geschrieben. Man könnte gleichsam sagen:  Die ganze Heilige Schrift, die ganze Bibel ist ein einziger großer Liebesbrief Gottes an uns. Und was machen wir damit? Wir lassen ihn ungeöffnet liegen. Sagen Sie einmal einem durchschnittlichen Gottesdienstbesucher, dass es wichtig ist, regelmäßig in der Bibel zu lesen. Wissen Sie, was Sie dann zur Antwort bekommen: „Ach, wenn Sie wüssten, wie viel ich zu tun habe ...“ Und dann kommt der Kameradschaftsabend, und dann kommen die ganzen Argumente(, bei denen Sie eben so geschmunzelt haben). Und das alles nur, damit wir diesen Liebesbrief Gottes nicht lesen müssen. Und dann wundern wir uns auf der anderen Seite, dass wir von der Liebe Gottes nichts erfahren. Dann wird das Christenleben furchtbar langweilig und anstrengend. Dann ist Christsein nur noch eine Summe von Vorschriften, was man alles muss und was man alles nicht darf.

Ja, diese Heilige Schrift ist wirklich ein Liebesbrief Gottes an uns. Ein einziges großes Zeugnis, wie sehr Gott uns liebt. Dass er die ganze Welt aus Liebe geschaffen hat. Und dann steht im Neuen Testament ein beinahe unvorstellbarer Satz: Bevor Gott die Welt geschaffen hat, hat er an Dich gedacht. Du bist nicht ein Zufallsprodukt. Du bist im Liebesplan Gottes von Ewigkeit her vorgesehen. Und als Gott keinen anderen Ausweg mehr sah, um die Menschen zu retten, da hat er das Liebste, was er hatte, seinen lieben Sohn ans Kreuz dahingegeben, weil uns Menschen so sehr geliebt hat. In diesen Liebesbriefen Gottes erfahren wir, dass Gott nicht apathisch ist, sondern dass er an unserem Leben interessiert ist. Es ist ihm nicht gleichgültig, ob wir froh sind oder ob wir ganz am Boden liegen. Wie viele Tränen werden geweint ganz im Verborgenen. Und da heißt es von Gott, das er unsere Tränen in einem Krug sammelt, dass er jede Träne abwischt. Gott ist engagiert für uns. Alles das steht in diesen Liebesbriefen Gottes. Und was machen wir? Wir lassen sie einfach liegen und lesen nicht darin.

 

Es gibt aber auch das Umgekehrte, das ich in den langen Priesterjahren immer wieder festgestellt habe: Überall dort, wo Menschen aus einem 08/15 Christentum aussteigen, wo Menschen wirklich zu einem lebendigen Glauben kommen oder sich zumindest danach sehnen, wo sie nicht nur Kirchgänger sind, sondern wo sie eine persönliche Beziehung haben oder suchen zu Jesus Christus: Als erstes passiert dann fast immer, dass solche Menschen anfangen, die Liebesbriefe Gottes zu lesen. Und dann bekommen sie ‚den Hals nicht mehr voll’ davon. Das Wort Gottes ist dann für sie wie eine Speise, die sie begierig in sich aufnehmen. Ich kenne Wissenschaftler, ich kenne Ärzte, ich kenne Richter, ich kenne Menschen, die Manager sind in gehobenen Positionen in der Wirtschaft, die sich jeden Morgen eine Zeit nehmen für das Wort Gottes, weil sie spüren: Ich brauche das für mein Leben. Ich kenne Krankenschwestern, ich kenne Erzieherinnen im Kindergarten, Mütter, Schüler. Ich kenne einen Arbeiter im Tiefbau, der die Bibel mit zur Arbeit nimmt und in der Frühstückspause darin liest. Andere lesen die Bildzeitung; er liest in der Bibel. Und keine Angst: Der ist nicht ausgelacht worden, der wird ernst genommen. Alle diese Menschen spüren: Da ist etwas; da begegnet ich dem lebendigen Gott. Da bekomme ich die Ermutigung, die ich brauche, um in dieser Welt Christ zu sein. Da bekomme ich Korrektur, die ich nötig habe, wenn ich auf einem falschen Weg bin. Wer gibt einem denn heute schon echte Korrektur, die aus der Liebe geboren ist und nicht aus der Kritiksucht und aus dem Bedürfnis nach Tratsch. Da bekomme ich den Trost, wenn ich ganz unten bin. Da bekomme ich Antworten auf Fragen, die mich in meinem Leben bedrängen, Antworten auch auf die Fragen, wo es mit dieser Welt als ganzer hingeht, was der Plan Gottes mit dieser Welt ist. Diese Menschen spüren: Hier ist etwas, das mein Leben reich macht, was meinem Leben Sinn und Richtung gibt. Darum fangen sie an, die Bibel zu lesen. Sie bewahren das Wort Gottes wie einen Schatz, wie ein Verliebter die Liebesbriefe bewahrt.

Jesus sagt: „Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort bewahren.“

 

Ich möchte aber noch einmal kurz auf den Anfang zurückkommen. Wenn Du einen Liebesbrief als Außenstehender liest, dann ist der meist langweilig und kitschig. Und wenn Du als Außenstehender an die Bibel herangehst, dann darfst Du Dich nicht wundern, wenn sie Dir trocken und nüchtern vorkommt. Dann wirst Du sie wohl nach kurzer Zeit wieder weglegen.

Aber dort, wo Menschen wirklich zu einem lebendigen Glauben kommen, da spüren sie auf einmal: Hier meint ER mich ganz persönlich. Jesus steht gleichsam wie ein Liebhaber vor der Tür meines Herzens und wirbt um meine Gegenliebe. Und glaub mir eins: ER meint mit seinem Liebesbrief auch Dich, ganz persönlich.  Amen.

 

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