Pfarrer Karl Sendker

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Gestalten um Maria
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Gestalten um Maria (1):    Josef

Gestalten um Maria (2):    Simeon und Hanna

Gestalten um Maria (3):   Die Brüder Jesu

Gestalten um Maria (4):  Der Kreis der 120 Jünger

Gestalten um Maria  (1):     Josef

 

Predigttext:    Mt 1,16.18-25

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

„Sage mir, mit wem du umgehst, und ich werde dir sagen, wer du bist.“ So heißt es bei uns im Volksmund. Dahinter steht die Erfahrung, dass das Wesen und der Charakter eines Menschen geprägt wird durch den Umgang, den er hat. „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist.“

Wir wollen in einer Predigreihe einmal versuchen, über den Umgang, den Maria gehabt hat, uns ihr zu nähern. Wir wollen die Menschen um sie herum betrachten. Denn das gilt ja auch für die Gottesmutter: „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist.“ Vielleicht lernen wir etwas über Maria auch von den Personen, mit denen sie Umgang gehabt hat.

 

Heute: Josef!

Von Josef heißt es: Er war mit Maria verlobt. Nun muss man wissen, dass damals die Partnerwahl viel stärker von den Eltern bestimmt war als heute. Aber dennoch: Wenn Maria und wenn ihre Eltern sich ausgerechnet diesen Mann als Verlobten bzw. als Bräutigam ausgesucht haben, dann deutet das doch an, dass zwischen diesen beiden irgendwie eine geistige Verwandtschaft oder eine Seelenverwandtschaft da sein musste, dass sie einander entsprachen. Sonst hätten sie doch nicht diesen Mann als Bräutigam auserwählt.

Maria war mit Josef verlobt. Noch etwas muss man wissen: Damals war die Verlobung etwas anderes als heute. Die Verlobung bedeutete damals ungefähr das, was bei uns heute die standesamtliche Hochzeit ist. Wenn ein Paar verlobt war, dann waren die beiden eigentlich nach dem Gesetz schon verheiratet. Nur der zweite Schritt der Hochzeit (wir würden vielleicht sagen die kirchliche Trauung), wo der Bräutigam in einer feierlichen Zeremonie die Braut in sein Haus holt, die hatte noch nicht stattgefunden. Aber die beiden waren bereits rechtskräftig miteinander verbunden.

Das hatte aber zur Folge: Wenn eine junge Frau oder ein junges Mädchen während der Verlobungszeit von einem anderen Mann schwanger wurde, dann galt das bereits als Ehebruch. Und darauf stand in Israel die Todesstrafe durch Steinigung. Vielleicht kann man sich ein dann vorstellen, in welcher Not Josef als Verlobter gewesen ist, als es sich auf einmal zeigte, zeigte!!, dass Maria schwanger war. Dabei wusste Josef ganz genau: Von mir ist sie nicht schwanger.

Um diese Not vielleicht noch ein kleines wenig drastischer zu auszumalen: Stellen Sie sich einmal vor, hier in unserem Dorf wird ein sechzehnjähriges Mädchen schwanger, und dann kommt die daher und behauptet auch noch: „Ich habe nicht mit einem Jungen geschlafen; das Kind ist vom heiligen Geist.“ Stellen Sie sich einmal vor, was dann hier im Dorf los wäre. Und dann ist die auch noch aus einer gut katholischen Familie. Und außerdem jeder weiß, dass sie mit ihrem Freund schon über ein Jahr zusammen ist. Was meinen Sie, was dann hier im Dorf los wäre!

Aber so ähnlich war damals die Situation. Außer Maria wusste ja keiner, was da von Gott her geschehen war. Und selbst wenn sie es gewusst hätten, meinen Sie, die hätten das verstanden? Die hätten wohl alle ‚den Vogel gezeigt’. Das würden wir ja auch tun, wenn das hier im Dorf so passiert wäre.

 

Wie reagiert Josef in dieser notvollen und peinlichen Situation? Drei Kennzeichen des Josef wollen wir uns vor Augen führen. Das erste Kennzeichen ist eine ganz tiefe, warme Menschlichkeit. Man hätte ja denken können, dass Josef jetzt empört reagiert, dass er stocksauer ist auf seine Verlobte. Er hätte sich auch auf das Recht berufen können, dann wäre Maria gesteinigt worden. Aber nichts von alle dem. Ihm ist nur eins wichtig: Maria soll nicht bloßgestellt werden. Wie kann ich verhindern, dass meine Verlobte bloßgestellt wird? Über den Ärger, den er dabei hat, kein Wort. Nur der Gedanke: Maria darf nicht bloßgestellt werden.

Und in dieser Situation gab es für ihn eigentlich nur eine Möglichkeit: Er musste in aller Stille die Verlobung lösen. Gut, damit war die Peinlichkeit nicht aus der Welt, aber dann drohte Maria wenigstens nicht mehr die Steinigung. Das ist die typische Haltung des Josef: Auf keinen Fall den anderen bloßstellen. Eine warme Menschlichkeit auch angesichts dieser peinlichen Lage.

 

Sehen Sie, das ist die gleiche Haltung, die auch Jesus am Kreuz gehabt hat, wo er für seine Peiniger eine Entschuldigung sucht und sagt: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“

Und ich denke, ob das nicht auch Maria sehr stark geprägt hat. Diese Menschlichkeit, die den anderen nicht bloßstellen will. Ich denke an eine Szene wie etwa später bei der Hochzeit zu Kana. Maria spürt, dass die Brautleute in Verlegenheit sind, weil kein Wein mehr da ist. Und da zeigt sie genau die gleiche Haltung: Dass nur nicht die Brautleute jetzt bloßgestellt werden. Sie will ihnen aus der Verlegenheit helfen und geht zu Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Diese ganze mütterliche Fürsorge, die die Gottesmutter da entfaltet, die wir an ihr so schätzen, wenn wir zu ihr beten. Hier ist eine der Wurzeln; das hat sie von Josef lernen können. Nur nicht den anderen bloßstellen.

 

Ein zweites Kennzeichen des Josef: Wenn er schon in dieser Situation nicht aufbraust, und wenn er schon nicht empört reagiert, dann hätte man ja doch denken können, dass er sich jetzt in grüblerischen Gedanken verbohrt und sich total verschließt in selbstquälerischen Gedanken, in Depressionen vielleicht. Gut, er hat den Ärger runtergeschluckt, aber innerlich voller Bitterkeit über das, was ihm da widerfahren ist, ausgerechnet ihm. In einer solchen Situation verschließt man sich ja so leicht in sich selber und ist nicht mehr offen.

Aber bei Josef genau das Gegenteil. Da heißt es von ihm: Noch während er darüber nachdachte, Maria still zu entlassen, erschien ihm ein Engel im Traum und sprach zu ihm. Das zeigt, dass er immer noch offen war für das Reden Gottes. Und dieses Nachdenken: Was soll ich jetzt tun?, das war nicht in sich verschlossen, sondern es war ein Nachdenken vor dem Angesicht Gottes.

Ist das nicht die gleiche Haltung, die auch Maria gehabt hat? Sie war ja auch so offen, dass der Engel zu ihr reden konnte und ihr diese total überraschende Botschaft bringen konnte: Du wirst ein Kind bekommen durch das Wirken des Heiligen Geistes.

Da spürt man die Seelenverwandtschaft zwischen Josef und Maria. Und vielleicht ist es einer der tiefsten Dinge, die wir wohl von Maria wie auch von Josef lernen können: Ganz gleich, in welche Notsituationen wir kommen, und wenn es uns bis zum Hals steht: Sei offen für das Reden Gottes, und verschließ dich nicht.

 

Und ein Drittes und Letztes. Da heißt es von Josef: „Er tat, wie der Engel gesagt hatte.“

Sehen Sie, wir haben von Josef im ganzen Neuen Testament nicht ein einziges Wort überliefert, das er gesprochen hat, , nicht einen einzigen Satz. Aber eine Haltung ist typisch für diesen Mann, der ja nur ein einfacher Handwerker war: Die Haltung des stillen, sofortigen Gehorsams dem Reden Gottes gegenüber. Der Engel sprach zu ihm, und er tat, wie der Engel gesagt hatte, und nahm Maria als seine Frau zu sich.

Jetzt muss man wieder sehen, was das für ihn bedeutet: Jetzt hatte er den „Schwarzen Peter“. In dem Augenblick, wo er sich zu Maria bekennt, muss ja jeder annehmen, dass die beiden zusammen geschlafen haben. Er hat ja den „Schwarzen Peter“. Trotz dieser kompromittierenden Lage ist er dem Engel gehorsam. Und noch etwas, noch ein Punkt, wo er gehorsam ist. Der Engel sagt ihm: „Du, du Josef, sollst ihm den Namen Jesus geben.“ Und Josef gibt ihm den Namen Jesus. Das bedeutet: er übernimmt die gesetzliche Vaterschaft über das Kind. Später, im Leben Jesu, wird es von Jesus heißen: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns?“ Ja, Josef hatte die Vaterschaft übernommen, obwohl das eine ganz peinlich Situation für ihn war. Aber wenn Gott ihm das sagt, dann ist er gehorsam, ohne zu diskutieren. Ganz gleich, was das für Konsequenzen für ihn hat.

Wenig später, die gleiche Situation: Der Engel erscheint ihm und sagt: „Herodes will das Kind töten, flieh nach Ägypten!“ Josef steht auf und flieht nach Ägypten, ohne wenn und aber. In Ägypten erscheint ihm der Engel: „Herodes ist gestorben, du kannst zurückkehren.“ Er steht sofort auf und geht zurück. Ein typisches Kennzeichen für Josef ist dieser absolute, sofortige Gehorsam.

 

Und ich komme noch einmal zurück auf die Hochzeit zu Kana. Wenn Maria den Dienern den Auftrag gibt: „Alles, was er euch sagt, das tut!“ Diese Haltung hat sie bei Josef sehen können: „Was er euch sagt, das tut!“

„Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist.“

Es ist gut, wenn man Umgang hat mit Menschen, so wie Josef einer gewesen ist. Amen.

 

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Gestalten um Maria (2): Simeon und Hanna

 

Predigttext:    Lk 2,25-38

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Bei der Begegnung mit Elisabeth singt Maria das Magnifikat, ihren großen Lobpreis. Wenn man sich einmal vor Augen hält, dass ein etwa dreizehn- bis vierzehnjähriges Mädchen diesen Lobpreis gesungen oder gebetet hat, dann ist das schon etwas Außerordentliches. Ich habe manches Mal auf Exerzitienkursen erlebt, wenn Jugendliche ein Lobgebet formulieren. Aber eine solche Weite, wie in dem Lobgebet der Gottesmutter zum Ausdruck kommt, das ist für ein Mädchen in diesem Alter schon ungewöhnlich. Wenn es da heißt: „Er, nämlich Gott, nimmt sich seines Knechtes Israel an und er denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig.“ Da spannt Maria in ihrem Gebet einen ganz großen Bogen zu den Verheißungen Gottes, die er dem Abraham gegeben hat. Und sie ahnt vielleicht, dass diese Verheißungen jetzt in Erfüllung gehen. Welch eine große Perspektive im Gebet. Woher hat dieses Mädchen das? Wie kommt ein Mädchen dazu, eine solche Weite zu haben in ihrem Denken, in ihrer Sehnsucht, in ihrem Gebet? In diesen Predigten wollen wir Gestalten betrachten um Maria herum, unter dem Thema: „Sage mir, mit wem du umgehst, und ich will dir sagen, wer du bist.

 

Heute zwei alte Menschen: Simeon und Hanna.

Simeon und Hanna, die in Jerusalem lebten, sind wohl nicht Menschen gewesen, mit denen Maria unmittelbar Kontakt hatte. Insofern gehören sie nur in weiterem Sinne zum Umgang der Gottesmutter. Aber diese beiden alten Menschen zeigen uns ein Stückchen von dem geistigen Umfeld, von dem geistlichen Milieu, in dem auch Maria zu Hause war.

Am Ende heißt es: „Hanna sprach über Jesus zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.“ Es hat offensichtlich eine größere Zahl von Menschen gegeben, die die gleiche geistliche Grundhaltung hatten wie Simeon und Hanna. Dazu wird vielleicht auch Maria und ihre Familie gehört haben.

Wenn man einmal diese beiden alten Menschen anschaut: Oft ist das ja so, dass alte Menschen in ihrem Denken eng werden, Ich-bezogen werden. Aber hier bei Simeon und Hanna spüren wir die gleiche große Weite und die gleiche große Perspektive, die uns auch aus dem Magnifikat entgegen kommt.

Da heißt es von Simeon - man muss das immer hören auf dem Hintergrund des Alten Testamentes: „Er war gerecht und gottesfürchtig.“ Das hörten wir von Josef auch schon. Dann heißt es da: „Er wartete auf den Trost Israels.“ Das sagt uns vielleicht nicht viel. Aber jeder, der damals im Alten Testament, in den Schriften der Propheten zu Hause war, der horchte sofort auf bei dem Wort: „Er wartete auf den Trost Israels.“ Das hat Anklänge an den Propheten Jesaja.

Israel war damals in der babylonischen Gefangenschaft. Das Volk war geradezu ausgelöscht; es war keine Hoffnung mehr da. „Gott hat uns vergessen“, haben sie gesagt.

Und dann kommt auf einmal ein Prophet, dessen Namen wir gar nicht kennen, dessen Botschaft uns überliefert ist im Buch des Propheten Jesaja. Und in diesem Propheten fängt Gott wieder an, zu seinem Volk zu reden. Und das Erste, was er dem Volk Israel in der Gefangenschaft zuruft: „Tröstet, tröstet mein Volk, rede Jerusalem zu Herzen und sag meinem Volk, dass die Knechtschaft zu Ende ist, dass seine Schuld beglichen ist.

Kurze Zeit später ist das Wirklichkeit geworden. Israel ist aus der babylonischen Gefangenschaf nach Jerusalem zurückgekehrt.

 

Aber es hat Menschen gegeben, im Alten Testament schon und auch im Neuen Testament wie dieser Simeon. Die wussten: Die Verheißung für Israel ist noch nicht voll erfüllt. Wenn Gott gerufen hat: „Tröstet, tröstet mein Volk, die Knechtschaft ist zu Ende“, dann meint er damit nicht nur, dass das Volk wieder zurückkehren kann nach Jerusalem. Gott meinte im Tiefsten die Knechtschaft der Gottesferne, die Knechtschaft der Sünde.

Und es sind Menschen da gewesen, die habend diese Verheißung festgehalten. Und sie haben daran geglaubt, dass Gott einmal ‚den Trost’ senden würde, von dem Paulus dann später schreibt, der den Schuldschein zerrissen hat. Wo dann wirklich die Knechtschaft Israels zu Ende gegangen ist. Da sind Menschen gewesen mit einem brennenden Herzen, und die haben das immer wieder vor Gott gebracht.

Und zu diesen Menschen gehörte Simeon. Ein alter Mann, aber was hat der für ein Herz! Es heißt in unserem Evangeliumsabschnitt: „Als er in den Tempel geführt wurde, und als dann das Kind Jesus in den Tempel gebracht wird, da er nimmt das Kind in seine Arme. Und er fängt an zu singen: „Meine Augen haben das Heil gesehen“, den Heiland gesehen, den Retter gesehen. Jetzt ist er da. Und dann auch bei ihm die ganz große Perspektive: „Herrlichkeit für sein Volk Israel.“ Aber nicht nur das, seine Perspektive ist noch viel größer, nämlich: „Ein Licht, das auch die Heiden erleuchtet.“ Was hat der Mann für ein Herz.

 

Und sehen Sie, das ist das Milieu, das geistliche Milieu, in dem eine Gottesmutter Maria aufgewachsen ist. Und das ist die geistliche Atmosphäre, die Maria dann in ihrem Magnifikat, in ihrem Lobpreis, einfach aussingt. „Er stürzt die Mächtigen vom Thron; er erhöht die Niedrigen. Er hat seinem Knecht Israel Großes getan.“

 

Genau das gleiche finden wir bei der alten Frau, bei der Hanna. Vierundachtzig Jahre alt; sie war schon über sechzig Jahre lang Witwe. Meistens meint man ja heute, so ein Leben ist verkümmert, wenn man ohne Lebenspartner über sechzig Jahre leben muss. Und damals gab es keine Sozialversicherung.

Aber was hat diese Frau daraus gemacht! Eine Frau mit einem brennenden Herzen. Sie sprach über dieses Kind zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten. Eigenartigerweise steht hier nicht: die Erlösung Israels - man muss immer auf die Feinheiten achten. Es heißt: „die auf die Erlösung Jerusalems warteten.“ Für jeden, der sein Ohr am Alten Testament hat, klingt da wieder eine Botschaft des Propheten Jesaja auf. Da hat Gott einmal gesagt: „Über deine Mauern, Jerusalem, habe ich Wächter bestellt. Tag und Nacht sollen sie mich erinnern. Ihr, die ihr Gott erinnern sollt, gönnt euch keine Ruhe, bis ich Jerusalem wieder zur Blüte gebracht habe.“

Es hat Menschen gegeben wie diese Hanna, die haben das ernst genommen, die haben Tag und Nacht Gott diese Verheißung vorgehalten: „Du hast versprochen, dass du Jerusalem wieder zur Blüte führen wirst.“

 

Das ist die Atmosphäre, in der Maria groß geworden ist.

Im Galaterbrief hat Paulus einmal geschrieben: „Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.“ Wissen Sie, warum die Zeit erfüllt war? Weil Gott Menschen gefunden hatte, die mit einem brennenden Herzen den Trost Israels, die Erlösung Jerusalems, den Heiland, erwartet haben. Das war es, warum die Zeit erfüllt war.

Und wir können den Bogen noch ein ganzes Stück weiterspannen. Im letzten Buch der Bibel in der Offenbarung des Johannes, ganz am Ende, sieht Johannes das neue Jerusalem. Das himmlische Jerusalem, die neue Schöpfung, die Gott einmal herbeiführen wird unter diesem Bild der idealen himmlischen Stadt Jerusalem. Und auch von dieser neuen Schöpfung, wo es keine Umweltkatastrophen mehr gibt, da wird es einmal heißen: „Als die Zeit erfüllt war“, hat Gott das realisiert.

Und er sucht heute Männer und Frauen wie Hanna, wie Simeon, wie Maria, die diese Sehnsucht im Herzen tragen und diese Gewissheit, dass Gott zu seinen Verheißungen steht. Dass er auch dieses neue Jerusalem, diese neue Schöpfung, Wirklichkeit werden lässt. Aber dazu braucht es auch heute Menschen mit einem brennenden Herzen, die Gott immer wieder seine Verheißungen vorhalten.

 

Es ist gut, die Gottesmutter zu ehren; es ist gut der Gottesmutter Loblieder zu singen; es ist gut Kerzen anzuzünden; es ist gut Wallfahrten zu machen. Aber wissen Sie, was noch besser ist? Lass Dich von Maria anstecken, lass Dich anstecken, dass du ein solches brennendes Herz bekommst und eine so große Perspektive. Solche Menschen sucht Gott. Und es ist ganz egal, ob Du ein sechzehnjähriges Mädchen bist oder eine vierundachtzigjährige Witwe oder ein alter Greis. Hauptsache, dein Herz ist weit genug.   Amen.

 

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Gestalten um Maria (3):   Die Brüder Jesu

 

Predigttext:    Mk 3,20-21.31-35

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Sage mir mit wem du umgehst und ich will dir sagen wer du bist. Unter diesem Leitwort betrachten wir Gestalten um die Gottesmutter Maria, Gestalten, mit denen Maria Kontakt hatte. Und Wir betrachten, welche Beziehungen da entstanden sind zwischen diesen Gestalten um Maria herum. Heute die nächsten Angehörigen Jesu, seine nächste Verwandtschaft.

 

Im Neuen Testament werden mehrmals die Brüdern und Schwestern Jesu erwähnt. An einigen Stellen werden sogar einige seiner Brüder mit Namen genannt.

Dazu eine kleine Vorbemerkung: Natürlich wäre es am nächstliegenden anzunehmen, dass Maria, nachdem sie Jesus geboren hatte, noch weitere Kinder hatte, und dass diese dann die „Brüder und Schwestern Jesu“ sind. Die evangelische Kirche nimmt das auch so an, dass Maria noch weitere Kinder gehabt hat.

Die Lehre der katholischen Kirche ist, dass Maria selbst keine Kinder mehr gehabt hat, sondern dass mit diesen Brüdern und Schwestern Jesu die näheren Verwandten gemeint sind. Man weiß heute, dass es damals üblich war, auch Vettern beispielsweise als ‚Brüder’ zu bezeichnen. Aber ich sage das nur am Anfang etwas beiläufig. Die Frage ist nicht so entscheidend, dass man sie kämpferisch verfechten muss.

 

Entscheidend ist mir etwas anderes bei dieser engsten Verwandtschaft. Es wird in den Evangelien an mehreren Stellen berichtet, dass die Haltung der engsten Verwandtschaft Jesu, seiner Brüder und Schwestern, gekennzeichnet war von einem tiefen Unglauben. Das ist im ersten Augenblick verwunderlich. Im Johannesevangelium heißt es ganz ausdrücklich: „Nicht einmal seine Brüder glaubten an ihn“, als nach der Brotvermehrung alle ihn verlassen hatten. Nicht einmal seine Brüder glaubten an ihn.

Als Jesus in seine Heimatstadt Nazareth kommt, da nehmen die Leute Anstoß an ihm, auch seine Verwandten. Sie nehmen Anstoß an ihm, und es heißt: „Jesus konnte wegen ihres Unglaubens dort keine Wunder wirken.“ Dann sagt er: „Nirgendwo gilt ein Prophet weniger, als in seiner Heimatstadt, in seinem Elternhaus und in seiner eigenen Verwandtschaft.“ Und man spürt, wenn man das liest, die Enttäuschung Jesu, die dahintersteckt.

 

Und ich denke, dass eine Frau wie die Maria, die ja auch zur Verwandtschaft gehörte, mit Jesus diese Enttäuschung geteilt hat. Von ihr wird ja gesagt: „Selig, die du geglaubt hast.“ Sie gehörte nicht zu den Ungläubigen. Aber ob sie nicht auch gelitten hat unter der Tatsache, dass die Brüder und Schwestern, die engsten Verwandten nicht an Jesus glaubten?

 

Wir finden diese engsten Verwandten in dem Evangeliumsabschnitt, den ich eben vorgelesen habe, wieder voller Unverständnis Jesus gegenüber: Die Leute kamen so zahlreich zu Jesus, dass er nicht einmal Zeit zum Essen hatte. Und da heißt es von seinen Angehörigen: „Sie wollten sich seiner bemächtigen.“ Wissen Sie, was das für ein Ausdruck im Griechischen steht? Der gleiche Ausdruck, der bei der Gefangennahme Jesu steht, als die Soldaten sich seiner bemächtigten. Dieser Ausdruck steht da. ‚Den müssen wir da wegholen; er ist von Sinnen.’ Das war die Haltung der Brüder und Schwestern Jesu.

Dann heißt es: Sie kommen zu dem Haus, in dem Jesus war, und sie stehen draußen und lassen ihn rufen. Auch hier muss man den Hintergrund ein bisschen mithören. Die anderen sind drinnen, aber die eigenen Verwandten bleiben draußen. Sie gehen nicht in den inneren Kreis hinein. ‚Draußen’ ist später Judas; draußen ist der, der in die Finsternis gehört. Und in diese Reihe hinein stellen sich die engsten Verwandten Jesu.

 

Und dann geschieht das Wunder das Eigenartige: Diese Brüder und Schwestern Jesu finden wir nach der Himmelfahrt auf einmal unter den Glaubenden. Da heißt es: Als die Apostel und die Jünger und die Gottesmutter zwischen Himmelfahrt und Pfingsten im Abendmahlssaal versammelt waren, waren auch die Brüder Jesu dabei und haben zwischen Himmelfahrt und Pfingsten um den heiligen Geist gebetet. Auf einmal stehen sie nicht mehr draußen, sondern sie sind drinnen, sie gehören mit zum Kreis der Glaubenden.

 

Und es geht noch viel weiter. Einer der Brüder Jesu, nämlich Jakobus, wird später der Leiter der Gemeinde in Jerusalem. Er ist neben Petrus eine der ‚Säulen’ der Kirche in Jerusalem. Paulus sagt: Ich habe die Säulen in Jerusalem kennen gelernt, auf denen die Gemeinde ruht. Und er nennt dann Petrus, und er nennt Jakobus, den Herrenbruder, wie er genannt wird.

 

Und noch weiter: Wir haben eben als Lesung einen Abschnitt aus der Apostelgeschichte gehört. Dort wird vom ersten Konzil der Christen, dem Apostelkonzil berichtet. Derjenige, der neben Petrus der Wortführer schlechthin ist, ist der Herrenbruder Jakobus.

So sehr hat sich die Situation in der Verwandtschaft Jesu geändert, bis hin zu der Tatsache, dass der Überlieferung nach ein Brief des Neuen Testamentes von Jakobus stammt, unser Jakobusbrief.

 

Wie ist diese Wandlung vonstatten gegangen? Gut, da muss sicher Gott eingreifen. Einen Menschen zu Jesus bekehren, das ist nicht unsere Angelegenheit, sondern das ist Angelegenheit Gottes. Aber wenn wir die Evangelien lesen, wir können doch spüren, wie sehr der Einfluss der Gottesmutter auch auf die Verwandtschaft wichtig war.

Von der Gottesmutter heißt es ja auch, dass sie Jesus nicht verstanden hat. Ich erinnere an die Begebenheit mit dem zwölfjährigen Jesus im Tempel. Als Jesus Josef und Maria dann sagt: „Wieso habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meines Vaters ist.?“ Es steht ausdrücklich dabei, dass Maria und Josef nicht verstanden, was Jesus ihnen damit sagen wollte. Und ich vermute, sie haben Vieles im Leben Jesu nicht verstanden.

Aber in der Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel steht eine kleine Bemerkung dabei, die für die Gottesmutter typisch und prägend war: „Maria bewahrte alle diese unverstandenen Dinge und Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Diese Bemerkung finden wir auch in der Geburtsgeschichte Jesu, als die Hirten zur Krippe kommen und alles berichten, was sie auf den Feldern von Bethlehem von der Herrlichkeit Gottes erlebt hatten.

 

„Maria bewahrte alle unverstandenen Dinge und Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“ Das hat sie den Menschen vorgelebt, auch der eigenen Verwandtschaft, wenn die Jesus nicht verstanden haben. Maria hat nicht gesagt: „Weg damit, damit kann ich nichts anfangen, dafür habe ich kein Verständnis.“ Wenn sie etwas nicht verstanden hat, hat sie es in ihrem Herzen getragen, und sie hat es in ihrem Herzen bewegt und lebendig gehalten.

Und dieser Glaube, der Unverstandenes im Herzen bewahren kann, der ist stärker gewesen als der Unglaube der Verwandtschaft. Dieser Glaube hat letztlich gesiegt, und hat prägende Kraft gehabt.

 

Warum ist das für uns wichtig? Es gibt heute gerade in christlichen Familien oft die Situation, dass da gläubige Eltern oder auch Großeltern sind, deren Kinder total von Jesus Christus und vom Glauben weg sind, dass sie total in Unglauben, in Spott und in Ironie verfallen. Und dann ist die Frage: Welche Kraft ist stärker, die Kraft des Unglaubens oder die Kraft des Glaubens?

Und die Gottesmutter macht uns heute Mut. Ihr ganz schlicht gelebter Glaube ohne große Demonstration hat mehr prägende Kraft gehabt. Sie macht allen Müttern und Vätern, die mit ungläubigen Kindern oder mit ungläubig gewordenen Menschen in ihrer Verwandtschaft zu tun haben, Mut, darauf zu vertrauen: Am längeren Hebel sitzt der schlichte gelebte Glaube. Das gilt bei Maria; das gilt auch heute bei uns. Es ist gut, das von der Gottesmutter zu lernen.   Amen.

 

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Gestalten um Maria (4):   Der Kreis der 120 Jünger

 

Predigttext:    Apg 1,12.14; 2,1-11

 

Liebe Schwestern und Brüder!

 

Gestalten um Maria. Wir betrachten die Gestalten, die die Gottesmutter geprägt haben, und die von der Gottesmutter geprägt worden sind.

Wir sind mit unserem Bibeltext am Vorabend der ersten Pfingsttages in Jerusalem. Da sitzen 120 Jünger in einem Raum zusammen, und sie beten um die Gabe des Heiligen Geistes. Sie sitzen zusammen im Gehorsam dem Auftrag Jesu gegenüber. Jesus hatte ausdrücklich vor seiner Himmelfahrt gesagt: „Geht nicht von Jerusalem weg, sondern bleibt in der Stadt, denn in wenigen Tagen werdet ihr mit der Kraft aus der Höhe ausgerüstet, mit dem Heiligen Geist.“ Vielleicht konnten sich die Jünger konkret nicht viel darunter vorstellen, aber sie haben in Treue gehorsam das getan, was Jesus ihnen aufgetragen hat. Sie saßen zusammen und beteten.

Es heißt von ihnen, dass sie einmütig im Gebet versammelt waren. Sie wussten, dass Jesus gesagt hatte: „Wo zwei oder drei eins werden, worum sie beten wollen, wird es ihnen vom Vater im Himmel gegeben.“ Sie wussten dass Jesus gesagt hatte: „Wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn darum bitten.“ Sie wussten dass Jesus im Abendmahlssaal gesagt hatte: „Alles, was ihr den Vater in meinem Namen bittet werdet, das wird er euch geben.“ Und das Gebet um den Heiligen Geist war doch im Namen Jesu; er selbst hatte es ihnen aufgetragen. Und so beteten sie mit einer großen Zuversicht und Gewissheit. Sie wussten, Gott wird seine Verheißung erfüllen.

 

Mitten unter diesen 120 Jüngern sitzt die Gottesmutter Maria und betet mit ihnen um den Heiligen Geist. Sie ist die Einzige im Kreis der 120 Jünger, die bereits zu diesem Zeitpunkt mit dem Heiligen Geist erfüllt war. Der Engel hatte bei der Verkündigung schon zu ihr gesagt: „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.“ Sie wusste, wovon die Rede ist, wenn man um den Heiligen Geist betet. Sie wusste aus eigener Erfahrung: Wenn der Heilige Geist einen Menschen erfüllt, dann wird Unmögliches möglich. Sie wusste aus eigenem Erleben, dass da der Sohn Gottes in ihr Mensch wurde ohne das Zutun eines Mannes.

Und jetzt, das Pfingstfest, ist ja gleichsam das Geburtsfest der Kirche. Da sollte der Leib Christi, die Kirche noch einmal geboren werden. Maria weiß genau, wie das ist.

Maria weiß aus eigenem Erleben: Wenn Menschen mit dem Heiligen Geist erfüllt sind, dann entsteht tiefe menschliche und geistliche Gemeinschaft über Generationen hinweg. Das hat sie die Begegnung mit Elisabeth gelehrt, die bei dieser Begegnung ja auch vom Heiligen Geist erfüllt wurde.

Maria wusste aus eigener Erfahrung: Wenn ein Mensch vom Heiligen Geist erfüllt ist, dann bricht es aus ihm heraus, dann brennt einem die Zunge im Lobpreis der Großtaten Gottes: Darum am Pfingsttag diese Feuerzungen, als der Heilige Geist auf alle herabkommt. Dann brennt es in einem; dann kann man nur noch Gott lobpreisen und seine großen Taten verkünden. Und Maria tut das in ihrem Magnifikat: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt in Gott meinem Retter ...“ Und sie singt die großen Taten Gottes heraus.

Und nun ist der Tag gekommen, an dem sich diese Verheißung Gottes erfüllt, der Pfingsttag. Sie waren alle beisammen an einem Ort.

 

Der Pfingsttag war damals ein großes Wallfahrtsfest in Jerusalem. Da waren Menschen aus dem ganzen Mittelmeerraum zur Wallfahrt in Jerusalem versammelt. Gott wollte, dass die ganze damals bekannte Welt Zeuge dieses großen Ereignisses ist, der Geburt der Kirche.

Und dann werden die Jünger vom Heiligen Geist erfüllt, und es geschieht genau das gleiche wie damals bei der Gottesmutter Maria. Es brennt ihnen auf der Zunge; sie müssen auf die Strasse hinaus, sie müssen die großen Taten Gottes verkünden, weil sie es nicht mehr für sich behalten können. Sie fangen an, auf dem Marktplatz von Jerusalem die Treue Gottes zu rühmen. Sie preisen den Gott, der in die Geschichte seines Volkes immer wieder eingegriffen hat, der seine Verheißungen erfüllt hat. Sie singen und preisen und rühmen und erzählen die großen Taten Gottes.

 

Und jetzt geschieht dieses Eigenartige, dieses Pfingstwunder. In dem Augenblick, wo die Jünger anfangen, die großen Taten Gottes zu verkünden, da kann auf einmal jeder aus dem ganzen Mittelmeerraum diese Fischer vom See Genesareth verstehen. „Sind das nicht alles Galiläer?“, staunen sie. „Wie kommt es, dass jeder von uns sie in seiner Muttersprache verstehen kann?“

Gottes Geist schenkte das Verstehen zwischen den Menschen. Er schenkte damals schon das ganz tiefe Verstehen zwischen Elisabeth und Maria. Er schenkt jetzt das Verstehen der vielen Völker aus allen Sprachen und Nationen.  

 

Diese Geschichte vom Pfingstfest in Jerusalem knüpft ganz unmittelbar an eine andere Geschichte aus dem Alten Testament an, an die Geschichte vom Turmbau zu Babel am Anfang der Bibel. Damals hatte Gott die Sprache der Menschen verwirrt, dass keiner mehr den anderen verstand, dass man immer nur aneinander vorbeiredete, obwohl man vielleicht die gleichen Worte gebrauchte. Und warum war das geschehen? Weil da die Menschen nicht die großen Taten Gottes verkündeten, sondern weil sie ihre eigenen Leistungen gepriesen haben. „Wir wollen einen Turm bauen, der bis in den Himmel reicht.“ Da stand nicht mehr zur Debatte: „Geheiligt werde dein Name“, sondern da hieß es: „Wir wollen uns einen Namen machen.“ Und wo Menschen Gott nicht die Ehre geben, wo sie sich selbst einen Namen machen wollen, wo sie das Werk ihrer eigenen Hände preisen, da wird die Sprache verwirrt, und keiner spricht mehr die Sprache des anderen.

Aber jetzt, an diesem Pfingstfest in Jerusalem, als die großen Taten Gottes verkündet werden, wird dieser Fluch gleichsam zurückgenommen. Jetzt auf einmal schenkt der Geist Gottes das gegenseitige Verstehen.

 

Liebe Schwestern und Brüder, es ist noch gar nicht so lange her, da sind wir Zeugen geworden in unserer Geschichte, wie Gott unserem deutschen Volk die Einheit geschenkt hat. Wir haben erleben dürfen, wie die Mauern gefallen sind, wie Menschen wieder miteinander redeten. Wir haben erlebt, dass Menschen sich auf einmal verstanden haben, auch Politiker. Und wir haben auch erleben dürfen - wir vergessen das ja so schnell-, dass dieses kleine Pflänzchen des gegenseitigen Verstehens, der wachsenden Einheit, geboren wurde aus den Friedensgebeten.

Aber wir haben auch erlebt, dass diese wachsende Einheit täglich neu errungen werden muss. Die fällt einem nicht einfach in den Schoß. Viele Ängste und Nöte sind damit verbunden. Und die Menschen, die Politiker ringen bis auf den heutigen Tag darum, diese Einheit im alltäglichen Leben praktisch zu gestalten.

Und auch hier gilt in unseren Tagen heute: Wenn diese Einheit, dieses Sich - Verstehen gelingen soll, dann braucht es auch heute noch das Gebet um den Heiligen Geist. Denn nur er kann im Tiefsten diese Einheit stiften. Das ist nicht allein abhängig vom Wollen der Politiker, der Gewerkschaftler und Arbeitgebervertreter. Wir brauchen Männer und Frauen, die immer wieder im Gebet vor Gott eintreten, die dieses Wunder erwarten, die Vollendung dieses Wunders, dass unserem Volk die Einheit geschenkt wurde.

 

Aber das gleiche gilt auch noch eine Stufe größer. Wir erleben, dass die Politiker in Ost und West, die Jahrzehnte aneinander vorbeigeredet haben, wo es faktisch unmöglich schien, eine gemeinsame Sprache zu finden, wir erleben mit, wie diese Sprachbarrieren einer Verständigung weichen. Wie man auf einmal Verstehen findet untereinander. Aber auch hier ringt man darum, wie dieses Neue zu gestalten ist. Da ist ja noch so viel verstecktes Misstrauen unter der Oberfläche da. Wir erleben dieses Ringen um eine weltweite Einheit in unseren Tagen mit. Und auch hier braucht es dringend die Unterstützung im Gebet. Wir dürfen diese Sache nicht einfach den Politikern überlassen. Wir alle sind eingeladen und aufgerufen, mit zu beten, dass dieses Werk gelingt. Dass nicht die großen Taten der Politiker gepriesen werden, sondern dass die großen Taten Gottes gepriesen werden. Dass wir einen Gott preisen, der in die Geschicke dieser Welt eingreift auch in unseren Tagen. Das braucht unser Gebet.

Ich bin mir ganz sicher: Was seit dem Fall des Eisernen Vorhangs gewachsen ist, das ist nicht zuletzt das Ergebnis der vielen Millionen Menschen, die in diesem Anliegen täglich den Rosenkranz beten. Das muss auch immer im Bewusstsein bleiben.

 

Wenn wir der Welt diesen Dienst tun, dass wir sie im Gebet mittragen, im Gebet um den Heiligen Geist, dann dürfen wir eins wissen - und ich komme jetzt auf den Anfang zurück: Wir haben Maria, die Gottesmutter, die mit uns betet. Sie ist nicht nur die Fürsprecherin. Das ist sie auch, aber hier  am Vorabend des Pfingstfestes zeigt sich: Sie ist auch Mitbeterin. Sie, die damals im Kreis der Apostel gesessen hat und um den Heiligen Geist gebetet hat, sie vereinigt sich heute mit unserem Gebet um den Heiligen Geist. Und der Heilige Geist wird ganz sicher kommen, genau wie damals.

 

Ich möchte schließen mit einem Bild, das mich vor Jahren sehr angerührt hat. Wir Katholiken sind ja gewohnt, dass in fast allen Kirchen die Gottesmutter einen besonderen Platz hat. Entweder durch ein Bild oder durch eine Figur vorne auf einem Seitenaltar. Ich habe in einer Kirche im Münsterland die Muttergottes einmal ganz anders erlebt, und ich glaube, das ist ein zutiefst richtiges Bild. In dieser Kirche stand die Marienfigur nicht vorne an der Seite auf einem Altar, sondern sie hing mitten in der Kirche über dem Mittelschiff, über den Bänken.

Einerseits war sie erhoben über den Menschen. Das ist der Platz, den Gott ihr geschenkt hat. Und doch sie stand nicht irgendwo vorne erhoben, sondern sie war mitten in der Menge der betenden, lobenden und feiernden Gemeinde. Ich glaube, das ist der Platz der Gottesmutter heute. Erhoben von Gott, und dennoch mitten unter uns vereint im Gebet um den Heiligen Geist.   Amen.

 

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